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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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meinen Gunsten verschoben.
    »Jacob«, sagte Tom. »Wer ist Jacob?«
    Ich bin nicht Jacob, wollte ich antworten. Aber nein, ich würde mich nicht verteidigen. Nicht vor Tom.
    Dass ich mit den Achseln zuckte, war ein Fehler. Doch er brachte mein Herz zum Rasen mit dieser Frage.
    »Nein«, Tom erhob die Stimme, »damit finde ich mich nicht ab. Ich möchte auf jede Frage eine Antwort und alle sollen sie hören. Alle, die dort draußen vor dieser Tür stehen, warten auf deine Antwort, und wenn ich wollte, könnte ich darauf bestehen, dass es eine Liveschaltung zu allen Nachrichtensendern des Landes, ach was, des nordamerikanischen Kontinentes gibt. Moment …« Er grinste. »Vielleicht sollte ich darauf bestehen, David? Ich glaube, die Welt wartet darauf.«
    Das Ganze wurde zum Zweikampf. Und plötzlich bemerkte ich, dass das genau das war, was auch ich wollte. Ihn zum Duell fordern. Und meinetwegen konnte er die Waffen wählen, wenn er die anderen aus dem Spiel ließ.
    »Ich bin bereit«, sagte ich.
    »Du weißt, was das bedeutet.«
    »Ja.«
    »Facebook. Twitter. Innerhalb von Sekunden kennt jeder deine Geschichte. Dein Name wird in die Geschichte eingehen.«
    »Tu, was du nicht lassen kannst.«
    »Jeder wird dein Gesicht kennen.«
    »Okay.«
    Ja, ich ließ es darauf ankommen. Es war nicht schlimmer als der Tod.
    Selbst wenn ich mich preisgab, ich wollte die Kontrolle behalten. Die Welt vergaß schnell. Wenn wir ehrlich waren, Jesus hätte heute keine Chance. Er wäre nichts als eine Eintagsfliege. Und das dachte ich nicht etwa, weil ich nicht religiös war.
    »Lass die anderen frei«, sagte ich. »Wir beide, du und ich, wir ziehen das alleine durch. Du willst das Rampenlicht? Dann lass nicht zu, dass so viele deine Bühne teilen. Wir beide. Niemand sonst.«
    Für einen Moment war er verunsichert. Und ich hätte zu gerne gewusst, was in ihm vorging.
    »Nein«, erwiderte er. »Das kann ich nicht.«
    Ich weiß nicht, ob jeder hörte, wie ich tief ausatmete. Mir war, als ob die ganze Welt es mitbekam und nicht begriff, was es bedeutete. Aber Tom hatte gerade zugegeben, was ich die ganze Zeit gedacht hatte.
    Ich war nur der Ball in einem Spiel, dessen Regeln ich nicht begriff.
    Und er?
    Wer war er?
    »Lass uns über Justin reden.«

21. Im Zeichen des Dreiecks
    »Justin?«
    Damit hatte ich nicht gerechnet. Mein Gesicht musste ein einziges Fragezeichen sein. Aber ich durfte mich nicht aus dem Konzept bringen lassen.
    »Ja. Justin Abraham.«
    Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich in meine Kindheitserinnerungen versinke. Bevor alles anders wurde. Zurück in die Zeit, als es unvorstellbar war, was passieren würde. Und Justin jemand war, der zu diesem Leben gehörte, das ich damals führte.
    »Wir spielten früher in einer Mannschaft Baseball.«
    »Wann früher?«
    Ich hörte, wie meine Stimme krächzte, wie ich keinen klaren Ton hervorbrachte.
    »Von der fünften bis zur achten Klasse.«
    »Zusammen mit Jacob. Der Junge, der eines Morgens in eure Schule kam und Justin erschoss. Ist das richtig?«
    »Ja.«
    »Ihr wart befreundet, Justin, du und Jacob.«
    »Ja.«
    »Und dann?«
    »Jacob hatte einen Unfall.«
    »Einen ziemlich schweren. Willst du uns davon erzählen?«
    Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit in die Vergangenheit zurückgehen würde. Aber natürlich hatte er recht. Mit dem Unfall hatte alles angefangen. Es war der Anfang jener Kette von Ereignissen, die mein ganzes Leben umkrempeln sollte.
    »Er lag ein halbes Jahr im Krankenhaus.«
    »Ende der Durchsage?«
    »Er wäre fast gestorben.«
    »Das ist alles?«
    »Jacob verlor ein Jahr in der Schule und musste die Klasse wiederholen.«
    »Er gehörte nicht mehr dazu, richtig?«
    »Ja.«
    »Wann hast du Justin zuletzt gesehen?«
    Ich blickte in Julias fragende Augen. Ich spürte die Anspannung in meinem Rücken. Die Kamera, die über mir schwebte, war vollkommen lautlos, aber in diesem Moment hörte ich sie surren. Auch sie erwartete eine ehrliche Antwort auf Toms Frage. Und gerade jetzt war Tom der Überlegene. Mir schien, als sei er auf die Erde zurückgekommen. Hätte seine Welt des Wahnsinns verlassen und hätte das Recht, das zu fragen.
    Ich dachte an den Moment zurück, an dem ich aus dem Chemiesaal trat. Justin hatte vor mir gelegen. Er hatte sich noch die Treppe heruntergeschleppt, bis vor die Tür. Aber ich hatte ihm nicht geholfen.
    »Als er tot war«, flüsterte ich. »Ich habe ihn das letzte Mal gesehen, da war er schon gestorben.«
    Tom nickte.

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