Das ewige Leben
Blut war es gar nicht.
Das Loch in seiner linken Schläfe war ja nicht besonders groß. Heute haben sie bei der Polizei immerhin die Neun-Millimeter-Glock, die macht schon ein bisschen ein Loch. Aber die Sieben-fünfundsechziger Walther PP, die sie früher bei der Polizei gehabt haben, nur ein sehr kleines Loch. Im ersten Augenblick hat der Brenner das Loch in der linken Schläfe vom Köck gar nicht gesehen. Ob du es glaubst oder nicht, zuerst ist dem Brenner aufgefallen, dass der deutsche Trainer so wahnsinnig erschrocken von der Wand herunterglotzt.
Ihm ist vorgekommen, dass er noch nie so einen erschrockenen Blick gesehen hat wie von diesem Trainer, der seine blauen Augen derart aufgerissen hat, dass man glauben hätte können, seine roten Haare und sein roter Schnurrbart sind nicht von Natur aus rot, sondern vor Schreck. Weil der hat immer noch viele Haare gehabt, obwohl der Köck dem Brenner letztes Mal erzählt hat, dass der arme Mensch aus einem inneren Zwang heraus dauernd seine Haare den Drogentestern hinterherträgt.
Und wahrscheinlich war das auch der Grund, dass für den Brenner unter all den Fußballerfotos an der Wand ausgerechnet dieses eine so herausgestochen ist, weil der Köck im Stadion natürlich nicht nur Hausmeister, sondern eben auch ein bisschen Nebenverdienst, ein bisschen Haarwuchsmittel für Spieler, Trainer, Journalisten. Der Köck hat dem Brenner noch stolz erzählt, dass er den deutschen Trainer fast nach Graz gelockt hätte, aber in letzter Sekunde haben ihn dann doch noch die Wiener weggeschnappt, wahrscheinlich die dortigen Stadionwarte noch bessere Haarwuchsmittel.
Der Köck selber jetzt auch ein bisschen rote Haare, aber nur dort, wo das Blut sie verklebt hat, nicht viel, weil die Kugel ist ja nicht wieder ausgetreten, und dann tut sich nicht viel hinsichtlich Blut. Zwischen dem linken Ohr und dem linken Aug natürlich schon, ziemlich genau dort, wo auch der Brenner sein Loch gehabt hat. Jetzt hat der Brenner für einen Moment die Wahnvorstellung gehabt, es war gar keine Waffe im Spiel, es hat gar kein Kripochef Aschenbrenner mit seiner Walther geschossen, sondern der liebe Gott hat ihn und den Köck mit den Köpfen zusammengedroschen, so wie er im Jahr 1973 die beiden Motorradrennfahrer zusammengedroschen hat, Jarno Saarinen und Renzo Pasolini, beide auf der Stelle tot.
Obwohl sein Kopf jetzt so gedröhnt hat, als wären der Köck und er wirklich gerade mit je dreihundert Stundenkilometern, also zusammen sechshundert Stundenkilometern, mit ihren Köpfen zusammengefahren, hat der Brenner ganz leise hinter dem Dröhnen noch einen Gedanken wahrgenommen. Pass auf:
Ich muss die Kugel finden.
Weil die Kugel muss aus demselben Walther-Verbau stammen wie die Kugel, die der Professor Hofstätter ihm aus dem Kopf geholt hat. Sprich beschädigte Kugel, abgeflacht wie die reinste Weltkugel. Er hat gehofft, dass der Kripochef Aschenbrenner wenigstens einmal oder zweimal daneben geschossen hat, weil die tödliche Kugel selber ist ja nicht wieder aus dem Kopf ausgetreten, und die Hülse allein hat ihm nichts genützt.
Gefunden hat er dann alles Mögliche, nur keine Kugel. Er hat schnell begriffen, warum der Köck so angegeben hat, dass der deutsche Trainer nur seinetwegen fast zu Sturm Graz gekommen wäre. Weil kiloweise Haarwuchsmittel, da müssen die Wiener wirklich was zu bieten gehabt haben, dass sie den Trainer noch in letzter Sekunde von dieser Quelle losgeeist haben.
Aber das hat den Brenner nicht interessiert. Die Kugel hat ihn interessiert. Jeden Zentimeter Wand hat er abgesucht, jeden Sessel, jedes Sofa. Nichts. Die alte Walther vom Köck hat er im Schrank gefunden, mit der ist auch seit dreißig Jahren nicht mehr geschossen worden. Aber nirgendwo ist eine Kugel gesteckt. Den Boden hat er auf den Knien abgesucht, aber keine Kugel, nur ein altes Foto hat er gefunden, und wie er es umgedreht hat, war es ein Foto, von dem der Brenner sich sogar eingebildet hat, dass er es damals gemacht hat. Der Aschenbrenner war drauf, der Köck war drauf, der Saarinen war drauf, und die neue Freundin vom Saarinen war auch drauf, die Kellnerin aus dem Puntigamer Braugasthaus, die er erst ein paar Wochen vorher dem Aschenbrenner ausgespannt hat.
An ihren richtigen Namen hat der Brenner sich nicht mehr erinnert, nur mehr an den blöden Spitznamen, den der Saarinen aufgebracht hat, ob du es glaubst oder nicht: Maritschi. Weil wenn dich als junger Mensch ein Unfall aus dem Leben reißt, dann weißt
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