Das ewige Lied - Fantasy-Roman
und trat auf die Kommode zu. Sie ergriff einen der Lappen, vergewisserte sich, dass er sauber war und tauchte ihn in das unbenutzte Wasser in der Kanne. Dann trat sie auf das Bett zu, ließ sich auf der Bettkante nieder und wollte beginnen, Daphnus‘ Wunden zu reinigen. Der junge Magier zuckte zusammen und wollte aufspringen, doch Jayel drückte ihn auf das Bett zurück. „Haltet still, sonst kann ich eure Wunden nicht versorgen!“, sagte sie streng.
„Was tut Ihr denn noch hier?“, fragte Daphnus, vom kurzen Schlaf verwirrt. „Ich dachte, Ihr wärt längst gegangen...“
„Erst müssen eure Wunden gereinigt werden“, meinte Jayel und begann vorsichtig, mit dem nassen Lappen Daphnus Gesicht abzuwischen. „Ich glaube, es wäre gut, wenn Ihr eure Augen mit Wasser ausspülen würdet. Wartet, ich bringe euch die Waschschüssel ans Bett.“ Gehorsam spülte sich Daphnus die Augen mit klarem Wasser aus und ließ auch zu, dass Jayel die Wunden versorgte und mit ihrer Wundsalbe behandelte. Erst als Jayel vorschlug, für ihn den Heilspruch nachzuschlagen, widersprach er: „Das geht nicht. Meine Bücher sind magisch vor fremdem Zugriff gesichert, Ihr könntet sie nicht ungefährdet öffnen. Nein, ich werde mich selbst darum kümmern, wenn ich wieder kann...“
Jayel zuckte die Schultern: „Dann werdet Ihr den Spruch wohl nicht mehr brauchen, aber gut, wie Ihr wollt.“
Jayel nahm die Waschschüssel und wollte sie zur Kommode zurücktragen. Sie entglitt jedoch ihren feuchten Fingern und fiel auf das Bett, wobei der Inhalt der Schüssel über Daphnus Unterleib entleert wurde. Jayels Wortschatz wurde erneut durch einige interessante Flüche bereichert. „Es tut mir leid...“, sagte sie, als der Magier endlich Luft holen musste.
„Wie kommt es eigentlich“, knurrte Daphnus mühsam beherrscht, „dass die Häufigkeit der Missgeschicke, die mir zustoßen, sich drastisch erhöht hat, seit ich in den Genuss eurer Bekanntschaft gekommen bin?“
„Na, nun hört mal! Immerhin wart ihr an den meisten dieser ... Missgeschicke nicht ganz unschuldig!“, sagte Jayel aufgebracht.
„Meint ihr mit ‚nicht ganz unschuldig‘, dass ich versucht habe, euch zu beschützen?“
Jayel erhob sich und sagte würdevoll: „Ich werde nun gehen. Ich werde euch allerdings morgen besuchen...“
„Heimsuchen!“, knurrte Daphnus.
„...Um zu sehen, wie es euch geht“, beendete Jayel unbeirrt ihren Satz.
„Oh nein, lasst das lieber“, brummte Daphnus. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich schneller erholen werde, wenn ich euch nicht sehe. Obwohl ich euch ja in jedem Fall nicht sehen werde...“
„Euren Zynismus könnt Ihr euch sparen!“, fauchte Jayel. „Wenn Ihr mir nicht hinterher geschlichen wärt wie ein Dieb, dann wäre das alles nicht passiert!“
„Und wenn Ihr euch nicht in solch einer Gegend herumgetrieben hättet, ebenfalls nicht! Erst färbt Ihr mein Gesicht ein, dann nehmt Ihr mir das Augenlicht...“
„Das Blau ist ja schon gar nicht mehr zu sehen!“
„Was für ein Trost!“
Während des Streites hatten die beiden nicht bemerkt, dass vor dem Haus Unruhe entstanden war. Doch jetzt wurde es vor dem Fenster so laut, dass Jayel und Daphnus die Diskussion abbrachen und aufmerksam lauschten. In den Straßen der Stadt herrschte gewaltige Erregung, die nicht zur nachtschlafenen Zeit passen wollte. Es war gegenwärtig bereits nach Mitternacht, und trotzdem herrschte in Farseth ein Treiben wie am Markttag. Jayel stand auf und trat ans Fenster. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Sie konnte kaum glauben, was sie sah, und wären nicht die vielen aufgeregten Menschen auf den Straßen gewesen, sie hätte gedacht, einer Sinnestäuschung erlegen zu sein.
„Was ist?“, wollte Daphnus vom Bett her wissen. „Was ist los?“, wiederholte er ungeduldig, als Jayel keine Antwort gab.
Die junge Bardin dreht sich langsam vom Fenster weg, ihre Stimme klang entsetzt und auch ein wenig ungläubig, als sie sagte: „Die ... die Kaiserinsel ... der Palast ... sie stehen in Flammen!“
4: Farseth in Aufruhr
Auch am nächsten Morgen befand sich die Stadt noch in hellem Aufruhr, und niemand schenkte dem seltsamen Paar Aufmerksamkeit, das sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Ein blind vor sich hin tastender Magier mit rotem, verquollenem Gesicht, der von einer jungen, hübschen Bardin geführt wird, hätte im Normalfall viele Blicke auf sich gezogen – heute interessierte sich keiner für die beiden. Da die Kaiserinsel
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