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Das ewige Lied - Fantasy-Roman

Das ewige Lied - Fantasy-Roman

Titel: Das ewige Lied - Fantasy-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: mainbook
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komplizierter die Frisur, desto wohlhabender galt der Mann. Die Frauen des Reiches trugen ihre Haare hingegen kurz oder waren manchmal sogar kahl rasiert. Gekleidet war Han in ein langes, fliederfarbenes Gewand, dessen Seide von schwarzen, gestickten Mustern durchzogen wurde. Jayel führte die rituelle Verbeugung durch, die sie für den Fall einer Begegnung mit einem Würdenträger der Ostreiche gelernt hatte. Han erwiderte die Verbeugung lächelnd. Jayel wusste, dass häufiges Lächeln als Form von Höflichkeit galt, lautes Lachen hingegen verpönt war, und selbst beim Lächeln der Mund geschlossen bleiben musste. Außerdem war ihr bewusst, dass sie nicht als Erste das Wort ergreifen durfte.
    „Ich bin äußerst beglückt, euch in meinem Haus begrüßen zu dürfen, junge Bardin“, eröffnete Han das Gespräch. „Setzt euch doch. Möchtet Ihr eine Erfrischung?“
    Jayel nahm Platz und erinnerte sich, dass sie die Erfrischung auf keinen Fall ablehnen durfte. „Ich danke euch, Gesandter Han. Ich würde mich sehr über ein Glas Wasser freuen!“, sagte sie darum.
    Han ergriff eine kleine Glocke, die auf dem Tisch stand und befahl seinem Diener, das Gewünschte herbei zu schaffen. „Sind die Prüfungen bald abgeschlossen?“, erkundigte er sich, nachdem Jayel ihr Wasser erhalten hatte. Jayel seufzte innerlich, antwortete jedoch höflich. Ihr war klar, dass sie ihre Angelegenheit nicht zur Sprache bringen durfte, ehe sie nicht darauf angesprochen wurde. Nach einem längeren Gespräch über die verschiedenen Prüfungen, das Wetter und die Festlichkeiten zu Ehren der Göttin Kris, die in den kommenden Tagen anstanden, fragte Han schließlich: „Was führt euch in mein Haus, verehrte Bardin?“
    Jayel neigte den Kopf und sagte: „Großkaiserin Cwell hat mir den Auftrag erteilt, euch diese Botschaft zu überbringen.“ Sie zog das Pergament aus ihrem Gürtel und übergab es Han, der es mit einer leichten Verbeugung in Empfang nahm. „Falls Ihr es in Ruhe lesen möchtet,“ fuhr Jayel fort, „kann ich gerne vor der Tür warten, wenn Ihr mir sofort eine Antwort für die Kaiserin mitgeben wollt.“
    „Oh nein, ich bitte euch, bleibt ruhig sitzen!“, sagte Han und brach das kaiserliche Siegel. Er wickelte die Pergamentrolle auf, überflog die und runzelte die Stirn. „Sehr interessant“, sagt er und blickte Jayel an. „Nun, ich glaube, ich werde der Kaiserin meine Antwort lieber mündlich mitteilen. Ich wollte sie morgen im Palast aufsuchen. Habt Dank für die Nachricht.“ Natürlich konnte Jayel nicht sofort gehen, das wäre ein grober Verstoß gegen die Etikette gewesen. Stattdessen plauderte Han noch eine Weile mit ihr über ihre Ausbildung, über die Ostreiche und über Jayels Herkunft. Als Jayel das Haus des Diplomaten verließ, stellte sie erschrocken fest, dass es bereits finstere Nacht war. Es mussten über zwei Stunden vergangen sein.
    Auf den Straßen war keine Menschenseele mehr zu sehen. Nicht einmal einen der Soldaten konnte Jayel ausmachen. Das Mädchen überlegte rasch. Ihre Freunde würden mit Sicherheit noch für eine Weile in der Stadt sein, wahrscheinlich in der Gaststätte „Zum blauen Schwan“, in der vor allem gehobenes Publikum und damit auch die Schüler der Bardenschule verkehrten. Doch wenn Jayel den Weg nahm, der sie zurück über die Kaiserinsel führte, würde das mindestens eine Stunde in Anspruch nehmen. Der Weg durch den Südteil der Stadt hingegen wäre um einiges kürzer. Sie müsste dann nur zehn Minuten durch diesen Stadtteil gehen und wäre schon bald im „Blauen Schwan“ angelangt.
    Jayel blickte sich unbehaglich um. Ein nächtlicher Gang durch den Südteil der Stadt war keineswegs etwas, das als ungefährlich zu bezeichnen war. Mancherlei Gesindel trieb sich dort herum, und in letzter Zeit waren viele Überfälle gemeldet worden. Andererseits galten die kaiserlichen Boten als tabu, und wer einem von ihnen etwas antat, hatte mit äußerst harten Strafen zu rechnen. Entschlossen setzte sich Jayel in Bewegung und überquerte eine Brücke, die in den Südteil führte.
    Jayel konnte den Unterschied als erstes am Geruch erkennen. Es war kein Gestank, den sie wahrnahm, es war vielmehr etwas Greifbares. Die Luft im Südteil von Farseth schien eine andere Substanz zu besitzen, eine beinahe körperliche Präsenz, die bedrohlich wirkte. Jayel war bereits mehrfach am Tage hier gewesen, doch dieser Unterschied war ihr bisher nicht aufgefallen. Als zweites bemerkte sie die Dunkelheit.

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