Das ewige Lied - Fantasy-Roman
wie dein Vater. Du warst so lange weg, dass die beiden einfach nicht mitbekommen haben, wie aus dem kleinen Mädchen eine junge Frau geworden ist.“ Tria seufzte. „Ich gebe zu, auch mir ist da so einiges entgangen…“ Jayel schwieg dazu. Sie hatte ihr Elternhaus mit 12 Sommern verlassen, ihre Ausbildung begonnen und seitdem ihre Familie nur zweimal im Jahr für wenige Wochen gesehen. Auch sie war ein wenig erschrocken darüber, in ihrem nur ein Jahr älteren Bruder nicht mehr den schlaksigen Spielkameraden vorzufinden, sondern den jungen Erben eines erfolgreichen Handelskontors.
Jayel blieb auch stumm, während sie ihren Gerstenbrei löffelte. Erst nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatte, ergriff sie wieder das Wort: „Ich gehe jetzt gleich los auf den Markt, um noch ein paar Dinge für die Reise zu besorgen. Und danach bringe ich die Tinte ins Kontor.“
„Mach das, meine Liebe. Dein Vater hat die Tinte schon letzte Woche beim Händler geordert und bezahlt, sie müsste also fertig sein. Sei bitte vorsichtig damit, denn sie ist selten und musste extra bestellt werden.“ Jayel wunderte sich, denn Extravaganz gehörte eigentlich nicht zu den Eigenschaften ihres Vaters. „Ist sie denn sehr teuer?“ erkundigte sie sich.
Tria lachte: „Oh nein, du kennst doch deinen Vater. Er ist ein praktisch denkender Mensch. Teuer ist sie nicht, ein Alchemist hat nur irgendetwas hinzugefügt, das diese Tinte besonders haltbar macht. Ein Kunde deines Vaters ist daran interessiert, diese Tinte zu kaufen. Und falls das Geschäft klappt, wird die Tinte wohl wirklich teuer werden…“
Jayel seufzte. Wieder einmal Kaufmannsangelegenheiten, von denen sie kein Wort verstand. Manchmal hatte sie das Gefühl, überhaupt nicht in die Familie zu passen. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater entstammten Kaufmannsfamilien und hatten einen tiefsitzenden Sinn fürs Geschäft geerbt, den sie auch an Grat weitergegeben hatten. Nur Jayel konnte mit Zahlen und Verhandlungen nichts anfangen. Sie hatte schon ernsthafte Mühe, auf dem Markt zu feilschen.
Jayel griff nach einem Korb und einem Umhängetuch und wollte die Küche verlassen. „Ach, Jayel,“ hörte sie da die Stimme ihrer Mutter und drehte sich nochmals um. Tria warf ihr einen warnenden Blick zu. „Versuch bitte, nicht wieder in Schwierigkeiten zu geraten“, mahnte sie.
„Aber Mutter“, protestierte Jayel, „du weißt doch, dass es die Schuld dieses Müllers war, er wollte mich einfach nicht in Ruhe lassen.“
„Ich kenne deine Version der Geschichte“, unterbrach Tria ungeduldig. „Aber der Vater des jungen Hinrich ist immerhin ein guter Kunde deines Vaters, und er wollte wohl nur höflich sein … ihr Götter, jetzt reden wir schon wieder von dieser Geschichte! Was ich eigentlich sagen wollte“, Tria lächelte jetzt, „versuche einfach, dich wie eine junge Dame zu benehmen! Wenn dich junge Männer ansprechen, dann lass sie abblitzen, anstatt ihnen eins auf die Nase zu geben, verstanden?“ Wortlos drehte sich Jayel um und verließ das Haus. Ihre Mutter sah ihr nachdenklich hinterher.
Vor dem Elternhaus verbeugte sich Jayel noch rasch vor dem kleinen Altar des Janos. Ihr Vater hatte den Altar errichten lassen, denn Janos war der Gott, der von Familie Ysternas verehrt wurde und als Schutzherr des Handels galt. Tria betete außerdem zu Gareta, der Mutter. Und auch wenn Jayel mittlerweile dazu übergegangen war, der Göttin Lyria, der Göttin des Wortes, zu opfern – denn als Bardin wurde sie gleichzeitig als Priesterin der Lyria angesehen – so brachte sie den Göttern ihrer Kindheit doch Ehrerbietung entgegen. Nachdem sie für Janos ein kleines Räucherstäbchen entzündet und um seine Unterstützung bei den vor ihr liegenden Einkäufen gebeten hatte, setzte Jayel ihren Weg fort.
Zum Markt war es nicht sonderlich weit, doch das junge Mädchen kam nur langsam voran. Die Straßen waren sehr belebt. Obwohl Uhlenburg nur eine Provinzstadt war, so hatte sie doch als Marktflecken einen durchaus respektablen Ruf und stellte im Umkreis von fünf Tagesreisen die einzige Möglichkeit dar, nicht nur an gewöhnliche Handelswaren, sondern auch an seltenere Gewürze, Stoffe und sogar an Papier heranzukommen.
Das Handelskontor der Familie Ysternas war eines von sechs großen Kontoren in Uhlenburg, hinzu kamen noch unendlich viele kleinere Händler und natürlich einige Spezialgeschäfte wie die verschiedenen Schmieden, Kräuterläden, das Geschäft des Alchimisten Grinabald und
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