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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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»Er ist nicht aus dieser Gegend!« sagten die Leute.
    Eibenschütz aber hatte das Gefühl, daß er den Mann schon irgendwo gesehen hatte. Er wußte nicht, wo und wann. Nacht herrschte in seinem armen Kopf, und es wollte nicht dämmern. Er trank, damit es lichter werde, aber es wurde nur noch dunkler. Ringsum spürte er eine große Gehässigkeit der vielen Menschen, wie noch nie vorher.
    Sie erhoben sich endlich, stiegen in den Schlitten und fuhren nach Szwaby. »Kapturak wird wissen, wer es war!« sagte unterwegs der Gendarm.
    Dem Eichmeister fiel nichts ein. Nach einer Weile sagte er: »Mir ist es gleichgültig!«
    »Mir nicht!« sagte der hartnäckige Piotrak.

XXXVII
    Seit mehreren Wochen war nun schon der Jadlowker im Hause Kapturaks gesessen. Er konnte es nicht aushalten, er machte also einen Ausflug. Er hatte gedacht, an einem Markttag in Zlotogrod, in der Schenke Litwaks gar, würde er gar keinen Bekannten treffen. Siehe da: es kamen der neue Gendarm und der alte Feind, der Eibenschütz. Das war unbedacht, ja leichtsinnig, durch das Ausspucken Aufmerksamkeit zu erregen.
    Er nahm einen sehr umständlichen Weg, um aus dem Wald, in den er geflüchtet war, nach dem Hause Kapturaks zurückzugelangen. Der Frost war stark, zum Glück konnte man sich trauen, über die Sümpfe zu gehen. Er wartete im Walde, bis die Nacht vollends hereingebrochen war. Dann marschierte er südwärts, den ganzen Bogen lang, den die Sümpfe um das Städtchen bildeten. Der Frost war zwar ein Glück, aber man fror entsetzlich. Es stach und es peitschte den ganzen Körper. Im kurzen Pelz, den Jadlowker trug, fror er genauso, als wenn er nur im Hemd gewesen wäre.
    Es war schon tiefe Nacht, als er das Haus Kapturaks erreichte. Jetzt begann seine Furcht, die er unterwegs mit aller Gewalt unterdrückt hatte, ihn mit verdoppelter Stärke zu erfüllen: nämlich die Furcht, daß der Gendarm schon auf ihn warten könnte. Er entschloß sich, ganz leise an den Fensterladen zu pochen. Er atmete auf, als er Kapturak heraustreten sah. Kapturak winkte ihn heran. Eine neue Furcht ergriff ihn: konnte man selbst Kapturak trauen? – Wem denn sonst? sagte er sich im nächsten Augenblick, und er ging heran.
    Sie traten ein, Kapturak schickte seine Frau hinaus in die Küche. »Setz dich, Jadlowker«, sagte Kapturak. »Was machst du? Willst du dich selbst und mich umbringen? Bist du ein erwachsener Mensch? Bist du ein Junge? Machst du Streiche? Schulbubenstreiche?« »Ich konnte nicht anders«, sagte Jadlowker.
    »Man hat dich wahrscheinlich erkannt«, sagte Kapturak. »Ich habe den Vorfall ja gleich nachher von Litwak erzählt bekommen. Ich wußte sofort, daß du es bist. Ich habe mir natürlich nichts anmerken lassen. Was willst du nun tun?«
    Der halberfrorene und ratlose Jadlowker – seine Ohren brannten ganz rot, zu beiden Seiten, rote Lampen – sagte: »Ich weiß nichts!«
    »Ich habe beschlossen«, erklärte Kapturak, »dich einzusperren. Besser als im Kerker in Zloczow wirst du es bei mir haben.«
    Wo verbirgt man einen gefährdeten Gast? Unerfahrene Leute verbergen ihn im Keller. Und das ist falsch. Wenn eine Hausdurchsuchung kommt, gehen die Gendarmen zuerst in den Keller. Aus einem Keller kann man nicht fliehen. Erfahrene Leute aber sperren einen gefährdeten Gast auf dem Dachboden ein. Dahin kommen die Gendarmen zuletzt. Außerdem hört man alles von oben her besser. Drittens gibt es eine Dachluke. Man hat frische Luft, und man kann rechtzeitig entkommen.
    So stieg auch Jadlowker die steile Leiter empor, die zum Dachboden führte. Einen Stuhl und einen Strohsack, eine Flasche Schnaps und einen Krug Wasser bekam er noch.
    Kapturak wünschte ihm gute Nacht, versprach, ihm regelmäßig Essen zu bringen, und ging. Aus Vorsicht schob er den Riegel vor, der an der Falltür des Dachbodens angebracht war. Als er die Leiter hinuntergestiegen war, blieb er eine Weile stehen und überlegte. Er überlegte, ob er die Leiter wegnehmen sollte oder nicht. Und er entschloß sich endlich, sie wegzunehmen. Er trug sie in den Hof und lehnte sie an das Dach. Er hatte beschlossen, dem Jadlowker Nahrung nur durch die Dachluke zu reichen.
    Auf dem Dachboden war es kalt, kälter noch als in der Zelle, und Jadlowker riß den Strohsack am Kopfende auf und steckte sich ganz in den Sack hinein, und über den Kopf stülpte er den Pelz. Durch die offene Dachluke, die nicht zu schließen war, schimmerte weißblau die frostklare Nacht. Bevor er einschlief, sah er noch die

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