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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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verstehen. Denn er verkaufte nicht nur Mehl, Hafer, Zucker, Tabak, Branntwein, Bier, Karamellen, Schokolade, Zwirn, Seife, Knöpfe und Bindfaden, er handelte auch mit Mädchen und mit Männern. Er verfertigte falsche Gewichte und verkaufte sie den Händlern in der Umgebung; und manche wollten wissen, daß er auch falsches Geld herstelle, Silber, Gold und Papier.
    Natürlich war er der Feind des Eichmeisters Anselm Eibenschütz. Er begriff überhaupt nicht, wieso und warum ein sonst gesunder und vernünftiger Mann sich um Staat, Recht und Gesetz kümmern konnte. Er haßte den Eichmeister Eibenschütz, nicht weil dieser ein Eichmeister, sondern weil er ein unbegreiflich Ehrlicher war. Jadlowker war untersetzt, vierschrötig, kräftig, unbedenklich. Es wäre ihm keineswegs schwergefallen, den Eichmeister und den Gendarmen, wenn sie zu ihm kamen, um seine Maße und Gewichte zu prüfen, hinauszuwerfen. Dies aber nicht zu tun, gebot ihm sein sündhaftes Gewissen. Vielmehr trat er dem Eichmeister sehr freundlich entgegen, den Haß unterdrückend und ihn sogar zeitweilig ausschaltend. Man hätte dem Leibusch Jadlowker schwerlich so viel Kunst der Verstellung zugetraut – bärenstark und vierschrötig, wie er einmal war. Die Natur wollte es so, daß er schlau sei und auch stark.
    Immer, wenn der Eichmeister Eibenschütz das Wirtshaus in Szwaby betrat, gab es Wurst und Rettich und Met und Schnaps und gesalzene Erbsen. Der neunziggrädige Schnaps war gesetzlich verboten, dennoch trank ihn der Wachtmeister mit emsigem Genuß. Franz Slama, der Wachtmeister der Gendarmerie, wurde leider leicht besoffen. Es war im Grunde gleichgültig, ohnehin verstand er ja nichts von Maßen und Gewichten. Und selbst wenn er etwas davon verstanden hätte: Man konnte die falschen Maße und Gewichte bei Leibusch Jadlowker niemals zu sehen bekommen. Er ließ sie rechtzeitig verschwinden, auf eine unfaßbare Weise erfuhr er immer von der Ankunft des Eichmeisters einen Tag früher.
    In jenen Tagen gerade erfuhr der Eichmeister Eibenschütz eine seltsame Veränderung im Benehmen seiner Frau Regina. Die gab nicht nur ihre Lust zu Zwistigkeiten auf, sie wurde zusehends zärtlicher. Er erschrak einigermaßen darüber. Denn wenn er sie auch immer noch liebte, gewissermaßen, weil sie bereits zu ihm gehörte, und – wie seinen neuen Beruf, an den er sich so schnell gewöhnt hatte, so begehrte er sie doch längst nicht mehr. Zu deutlich hatte sie ihm und zu lange Zeit gezeigt, daß er ihr gleichgültig war und zuweilen sogar verhaßt. Seit langem schon war er gewohnt, in der Nacht sofort einzuschlafen, wenn sie in die hart aneinandergerückten Betten stiegen, und längst mehr hatte er keinen Blick für ihren nackten Körper, wenn sie sich vor dem Spiegel auszog, vielleicht in der Hoffnung, er würde sie noch begehren. Manchmal fragte sie ihn, nackt, wie sie dastand, ob er sie liebe. Sie meinte eigentlich, ob er sie schön finde. »Ja, gewiß!« sagte er und ergab sich dem Schlaf, gleichsam, um den Gewissensbissen zu entgehen, die ihm seine Lüge noch hätte bereiten können.
    Deshalb überraschte, ja erschreckte ihn die Zärtlichkeit, die plötzlich wiedererwachte, seiner Frau. Er schlief mit ihr, wie in früheren Jahren. Am Morgen dann war seine Unlust stark, und er gab ihr fast mit Widerwillen einen Kuß, bevor er fortging. Sie stellte sich schlafend, und er wußte genau, daß es ein Spiel war. Aber das Spiel gehörte zu ihr, und er liebte sie immer noch. Er sagte es ihr nicht.
    Vergeblich grübelte er darüber nach, was sie wohl zu solch erneuter Leidenschaft gebracht haben möchte. Eines Tages sollte er die Wahrheit erfahren.

VIII
    Eines Tages nämlich befand sich unter seinen vielen anonymen Denunziationsbriefen ein ungewöhnlicher, der folgendermaßen lautete:
    »Geehrter Herr Eichmeister, obwohl eines der Opfer Ihrer Strenge und demzufolge in einen Prozeß verwickelt und das wegen eines einzigen Zehn-Kilo-Gewichtes, erlaube ich mir, Ihnen mitzuteilen, daß Ihre Frau Sie auf hinterhältige Weise hintergeht und schändlich. Und zwar mit Ihrem Herrn Schreiber, Herrn Josef Nowak. Verehrungsvoll ergebenst X.Y.«
    Anselm Eibenschütz war ebenso langsam, wie er redlich war. Zu oft hatte er überdies erfahren, daß viele Denunziationen falsche Angaben enthielten. Er steckte den Brief in die Tasche und ging nach Hause. Zärtlich, wie gewohnt seit einigen Tagen, empfing ihn seine Frau. Sie hing sogar noch eine Weile länger an seinem Hals. »Ich habe dich

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