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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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VORREDE
    Der Gedanke zu dieser romanhaften Handlung (oder Erzählung) ist meinen Predigten entnommen, und zwar einer Stelle, welche (weil sie sicherlich nur wenige der Leser kennen) hier zu zitieren ich die Freiheit nehme. Der Passus hat den folgenden Wortlaut:

    Giebt es in diesem Momente wol Einen unter uns, ob wir uns gleich von dem HErrn entfernet haben mögen, nicht achtend Seines Willens und ohneingedenk Seines Worts – giebt es wol Einen unter uns, welcher in eben diesem Augenblicke und um der Eitelkeit menschlicher und irdischer Güter willen hingeben wollte die Hoffnung auf seine ewige Seeligkeit? – Nein, kein Einziger ist hier, kein solcher Thor hienieden, und versuchte auch der Leibhaftige selbst, ihn in seine Fallstricke zu locken!

     
    Diese Stelle gab mir die Idee zu »Melmoth der Wanderer« ein. Der Leser wird dieselbe im folgenden ausgearbeitet finden – mit welchem Talent und zu welchem Erfolg, entscheide er .
    Ein Teil dieses Buches, »Des Spaniers Erzählung«, wurde von einem Freund, welchem ich ihn vorgelesen, um der allzu deutlichen Absicht willen getadelt, das Grausige von Radcliffes Romanen, die Drangsalierungen in den Klöstern und die Schrecknisse der Inquisition aufs neue lebendig zu machen.
    Meine Verteidigung bestand in dem Versuch, dem wohlmeinenden Tadler entgegenzuhalten, daß ja Trübsal und Not des Klosterlebens für mich nicht so sehr von den schaurigen Aventuren abhängen, welchen man in Romanen begegnet, sondern vielmehr von der peinvollen Kette aus all den kleinlichen Quälereien, daraus sich das Elend unsres Daseins gemeinhin zusammensetzt, jenen Quälereien, die auszusinnen das Mönchstum in seiner zeitlosen Abgeschiedenheit und Stagnation sowohl die Muße findet, als auch genug der von Bösem genährten Kraft, um dergleichen zu praktizieren. Ich vertraue darauf, daß meine Verteidigung im Urteil des Lesers von größerem Gewicht sein wird, denn in der Meinung des Freundes.
    So trete ich denn wieder in dem unziemlichen Gewande eines Romanschreibers vor das Publikum, freilich nicht ohne die Notwendigkeit gebührend beklagt zu haben, welche mich zu solchem Schritt zwingt. Würfe mir mein Amt genug ab, ich erachtete es für sträflich, meinen Lebensunterhalt auf andere Weise zu verdienen. Aber ach – mir bleibt keine Wahl!

     
    Dublin,
    den 31. August 1820

ERSTES KAPITEL
    So lebt er denn? So zeigt mir wo er ist;
    Ich gäbe tausend Pfund, um ihn zu sehen!
    Shakespeare

     
    Im Herbst des Jahres 1816 verließ der Student John Melmoth das Trinity-College in Dublin, um sich ans Sterbelager eines Oheims zu begeben, auf dessen Person unser Reisender seine größte Hoffnung hinsichtlich eines erträglichen Auskommens setzte. John war der verwaiste Sohn von des Oheims jüngerem Bruder, dessen dürftiger Besitz die Kosten des Studiums nur spärlich zu decken vermochte. Der Oheim hingegen war reich, unbeweibt und alt.
    Die Anmut der Landschaft, welche er durchfuhr, vermochte indes nicht, seinen Sinn von so mancherlei quälenden Gedanken abzulenken. Die Grillen seines griesgrämigen Oheims – die sonderbaren Gerüchte über den Beweggrund jenes einsiedlerischen Lebens, das er durch Jahre geführt –, die eigene Abhängigkeit – dies alles legte sich schwer auf sein Gemüt. Je mehr die Postkutsche sich der »Lodge« näherte (so der Name von des alten Melmoth’s Landsitz), desto schwerer ward John um das Herz!
    Er entstieg dem Gefährt, in der Hand als einziges Reisegepäck die ins Schnupftuch gebundene Wäsche zum Wechseln, und trat auf des Oheims Pforte zu. Das Pförtnerhäuschen war schon ganz zerfallen, doch aus der angebauten Bretterhütte stürzte ein barfüßiger Knabe herbei, um durch Anheben in der verbliebenen Angel das aufzutun, was einst ein Tor gewesen, nun aber aus ein paar so elendig zusammengefügten Brettern bestand, daß sie klapperten wie ein Aushängeschild bei stürmischem Wetter. Der widerspenstige Mittelpfosten zog, sobald er den vereinten Anstrengungen Johns und seines barfüßigen Helfers nachgegeben hatte, eine tiefe, schmatzende Furche durch den schlammigen Schottergrund, und die Einfahrt lag offen. Nachdem John seine Taschen vergeblich nach einem kleinen Trinkgeld für seinen Helfer durchsucht hatte, schritt er weiter voran, indes der Bursche in drei Sprüngen zu seinem Verschlag zurückeilte, wobei er sich in dem wegspritzenden Schlamm so wohl zu fühlen schien wie eine Ente, und kaum weniger stolz auf seine Behendigkeit war als auf die Tatsache,

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