Das falsche Urteil - Roman
schwitzte ziemlich heftig und fuhr sich ab und zu mit einem bunten Taschentuch durchs Gesicht. Der jüngere schien über irgendetwas nachzudenken, was immer das nun sein mochte.
Wenn die nun auch dafür bezahlt wurden, dass sie hier herumstanden! Ihn würde das nicht überraschen.
»... am Jüngsten Tag. Amen«, sagte der Pastor, dann war es vorbei.
Ruhe in Frieden, Leopold Verhaven, dachte Maertens und hielt Ausschau nach einem Spaten.
»Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht«, sagte Münster, als sie ihre Autos erreicht hatten.
»Lass hören«, sagte Van Veeteren.
»Tja«, sagte Münster. »Erstens wüsste ich gern, wie der Kommissar festgestellt hat, dass er es war. Jahrens, meine ich.«
»Hrrm«, sagte Van Veeteren. »Die Rollstuhlrampe bei Czermaks, natürlich. Und diese Frau mit dem Stock, im Gefängnis. Ich habe das vielleicht nicht sofort miteinander in Verbindung gebracht, aber einen Zusammenhang musste es doch geben. Etwas, das ein Glöckchen zum Bimmeln gebracht hat.««
»Aber Frau Jahrens war doch schwerstbehindert. Konnte auch mit Stöcken nicht gehen.«
Van Veeteren fächelte sich mit einer Zeitung Luft zu.
»Nicht alles ist so, wie es aussieht, Polizeirat. Ich dachte, da wären wir uns einig?«
»Und was mag das wohl bedeuten?«, fragte Münster.
»Dieses und jenes«, erwiderte der Kommissar und schaute zum Friedhof hinüber. »Dass die Wurzel oder die Quelle des Bösen nicht immer da liegt, wo wir sie zu finden erwarten, zum Beispiel. Leopold Verhavens Schicksal – ich hoffe wirklich, dass er irgendwann in der Zukunft rehabilitiert werden kann – hatte doch fast nichts mit ihm selber zu tun. Er wurde zur unfreiwilligen Hauptperson in einem Drama, eines stummen, verbitterten und besinnungslosen Dramas zwischen dem Ehepaar Jahrens. Absolut unschuldig wird er zum Sündenbock auserkoren und muss fast ein Vierteljahrhundert im Gefängnis verbringen ... kein Wunder, dass er danach ein wenig eigen war! Als Frau Jahrens sich endlich zur Beichte entscheidet, führt das nur zu Verhavens Tod. Das ist einfach zu übel, Münster, aber vielleicht gibt es in allem doch eine Art seltsamer Logik. Ich habe fast das Gefühl, schallendes Gelächter aus der Unterwelt zu hören, wenn du verstehst, was ich meine ...«
Er schaute in den hellen Sommerhimmel mit den Federwölkchen hoch.
»Sogar an einem solchen Tag«, sagte er.
Sie schwiegen eine Weile.
»Und Marlene Nietsch?«, fragte Münster.
»Ein Zufall, glaube ich«, sagte Van Veeteren. »Er hatte sie wohl in der Stadt gesehen und wusste, wie sie aussah, und an dem Tag fuhr er an ihr vorbei, als Verhaven sie gerade verlassen hatte. Vermutlich ließ er sie einfach in seinen Wagen einsteigen und dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Sie wollte nicht und er wurde gewalttätig. Ich nehme jedenfalls an, dass es so war, obwohl es natürlich noch viele andere vorstellbare Varianten gibt.«
»Und die Reste? Von Verhaven, meine ich.«
Der Kommissar zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung, sind irgendwo vergraben, fast hoffe ich, dass es auch so bleibt. Stell dir vor, sie werden in hundert Jahren gefunden und führen zu neuen Ermittlungen. Ab und zu habe ich das Gefühl, dass das hier eine unendliche Geschichte werden wird.«
Münster nickte und öffnete die Wagentür.
»Aber jetzt reicht es auf jeden Fall«, sagte er. »Ich muss nach Hause und packen. Wir fahren morgen.«
»Italien?«, fragte Van Veeteren.
»Ja. Zwei Wochen in Kalabrien und eine in der Toscana. Wann macht der Kommissar Urlaub?«
»Im August«, sagte Van Veeteren. »Ich bin ja kaum wieder in Gang gekommen, aber das ist ja auch vielleicht nicht nötig. Der Juli in Maardam ist meistens ein schöner Monat. Ruhig und friedlich ... alle Idioten sind schließlich verreist. Nimm das aber nicht persönlich.«
»Wie würd ich denn«, sagte Münster. »Mach’s gut.«
»Mach’s gut«, sagte Van Veeteren. »Pass gut auf deine schöne Frau auf ... und natürlich auch auf die Kinder. Und im September ist wieder Badminton angesagt.«
»Aber sicher«, sagte Münster.
Noch einmal fuhr er den Weg zum Großen Schatten hoch. Verließ jedoch nicht sein Auto. Betrachtete nur das überwucherte Haus, rauchte eine Zigarette und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum.
Was für eine schreckliche Geschichte, dachte er.
Und jetzt waren alle Beteiligten tot. Wie in einer Shakespeare-Tragödie. Beatrice Holden und Marlene Nietsch. Arnold und Anna Jahrens. Und Verhaven selber,
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