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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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er sie. Ein unmöblierter Raum. Die Fensterflügel standen offen, durch die Lamellen der geschlossenen Außenläden fielen Lichtstreifen auf das Schachbrettmuster aus dunkelroten und weißen Fliesen. Am hinteren Ende war im Halbdunkel ein offener Kamin zu sehen, der mit Pappkartons zugestopft war. In der Mitte des leeren Raums stand ein Damenfahrrad auf dem Ständer. Die Chromteile blinkten matt. Swoboda starrte es an. Es starrte zurück wie ein vergessenes Tier. Er begann zu schwitzen. Das Haus war kalt und zugig. Warum konnte er den Blick nicht lösen vom Doppelschwung der Lenkstange? War es jetzt so weit? Drehte er durch? Er trat drei Schritte hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer des Treppenaufgangs. Durch Trenchcoat, Jackett und Hemd hindurch spürte er die Kälte der Wand. Er sah an sich herunter, hob die Hände und spreizte sie. Sie zitterten. Er hatte einige gefährliche Augenblicke in seinem Berufsleben überstanden. Jetzt aber war die Gefahr in ihm selbst. Und keine Erfahrung half ihm, sie zu bestehen. Nach einer Mordserie in Zungen an der Nelda, mit deren Aufklärung er die halbe Stadt gegen sich aufgebracht hatte, wollte er nichts mehr zu tun haben mit der schwarzen Seite der Welt, die aus geplanten, versehentlichen, tragischen Gewalttaten bestand und aus verzweifelten, eiskalten, brutalen, oberflächlichen, krankhaften Tätern. Die Frühpensionierung ein Jahr vor der Zeit würde ihm guttun. Doch seit er nicht mehr in die Abgründe blickte, hatte sich eine seltsame Ratlosigkeit in ihm ausgebreitet. Er kam mit der Beliebigkeit seiner Tage nicht zurecht. Bis er in einer Art innerem Stillstand verharrte, stundenlang in seinem Atelier in der Prannburg hockte und seine alten Bilder anstarrte, als hätte ein anderer sie gemalt. Als er Martina immer wieder mit seiner Furcht vor dem Verschwinden seiner Erinnerung bedrängte, bat sie ihn, einen Arzt aufzusuchen. Sie nahm das Wort Depression nicht in den Mund, sie sprach von Melancholie. »Melancholie, die habt ihr Künstler doch alle!« Sie meinte es gut. Er hielt von solchen Erklärungen nicht viel. Dass man der Sache einen Namen gab, änderte nichts. Ja, es ging ihm nicht gut. Es ging ihm verdammt noch mal nicht sehr gut! Er gab es ja zu! Plötzlich hatten seine beiden klar getrennten Lebensweisen, privat als Maler, öffentlich als Kriminaler, ihre Eindeutigkeit verloren. Er hätte jetzt jeden Tag malen können. Und tat es nicht. Martina wollte seine Bilder in ihrer Galerie ausstellen. Er weigerte sich. Klaus Leybundgut, mit dem er seit der Schulzeit im Zungener Gymnasium befreundet war und der als Rechtsmediziner fast dreißig Jahre mit ihm zusammengearbeitet hatte, nannte ihm die Adresse einer Therapeutin. Nicht hier, wo jeder ihn kannte. In der Landeshauptstadt, gut zwei Autostunden entfernt von der Zungener Provinz. »Wenn du willst, melde ich dich an. Ich halte viel von ihr, sie kann dir helfen, wenn du dir helfen lässt …« Doktor Ruth Sallwey – eine unauffällige Dame, sehr klein, gekleidet im bräunlichen Farbton der Tapeten im Behandlungszimmer, er schätzte sie auf Ende fünfzig, weiße Haut, weißes Haar, drei Zentimeter kurz – ließ sich auf keine Therapierichtung festlegen. Swoboda hatte sich nichts von ihr versprochen, war mit einer gewissen vorgefassten Verachtung zur ersten Stunde gekommen. Dieser blässliche Typus, bei dem man unwillkürlich an Sonnenbrand dachte, erschien ihm nicht vertrauenerweckend. Am Ende der Stunde hatte sie erkannt, dass Swoboda die Mörder fehlten. »Bisher haben die Täter ihrem Leben einen Sinn gegeben. Nicht den ganzen, denn Sie sind auch Künstler. Aber doch den Sinn des Alltags, des Berufs, der Sie ernährte. In jeder Hinsicht ernährte. Mörder gibt es weiterhin, aber Sie haben nichts mehr mit ihnen zu tun. Darum verlieren sich die Gesichter in Ihrer Erinnerung. Eine Art Abnabelung. Ihr Gedächtnis erhält keine Nahrung mehr und weiß nicht, warum es die alte Nahrung noch wiederkäuen sollte. Das vermute ich jedenfalls. Sie könnten es eigentlich genießen, aber sie haben Angst davor. Wir werden sehen, woher das letzten Endes kommt. Denn alles, Herr Swoboda, hat einen Hintergrund. Als Kommissar wissen Sie das natürlich. Träumen Sie? Nein? Natürlich träumen Sie, Sie erinnern sich bloß nicht. Nun gut. Fürs Erste rate ich Ihnen zum Ortswechsel. Machen Sie eine Reise. Allein. Nicht zu fern, nicht zu nah. Danach unterhalten wir uns weiter. Und noch etwas: Malen Sie die Gesichter! Die

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