Katja Henkelpott 3 - Katja Henkelpott kommt in die Schule
Guten Morgen, Katja Henkelpott!
Wer mich lieb hat, nennt mich Katja Henkelpott. Aber inzwischen kennt ihr mich ja und wisst, dass ich in Wahrheit Habenicht heiße und in Rostock wohne, genau gegenüber von Dänemark. Ich kämme mir immer noch zwei Pferdeschwänze. Der eine biegt sich über dem rechten Ohr, der andere über dem linken. Das sieht aus, als ob ich oben zwei Henkel zum Anfassen hätte.
Ich hab eine ganze Menge doppelt am Kopf. Zwei Ohren, mit denen ich höre, was über mich geredet wird. Zwei Augen, mit denen ich funkeln kann. Zwei große Nasenlöcher, mit denen ich wie eine Dampfmaschine fauche, wenn ich mich ärgern muss. Die beiden Pferdeschwänze kämme ich, damit mich die Leute niedlich finden und lächeln, wenn ich Guten Morgen sage.
Meine Eltern waren ziemlich lange mit mir einverstanden, weil ich ein selbstständiges Mädchen bin. Meine Mutter sitzt bis Ladenschluss bei Aldi an der Kasse. Mein Vater sucht immer noch nach einem Job und kann keinen finden, weil es zu wenig Arbeit gibt. Aber das habe ich, glaube ich, schon erzählt.
Meistens haben meine Eltern nur an den Sonntagen Zeit füreinander, deshalb lasse ich sie ein bisschen länger schlafen und decke den Frühstückstisch in der Küche selbstständig mit Marmelade, Butter und Käse. Und weil ich schon längst bis zehn zählen kann, darf ich sogar den Kaffee kochen.
Es ist ganz einfach. Man gießt das Wasser ein, bis an den Strich mit der Zahl Sechs an der Kaffeemaschine, kippt vier gehäufte Löffel Kaffeepulver in den Filter und drückt aufs Knöpfchen, dass es rot wie an der Ampel leuchtet. Trotzdem ist keine Gefahr. Ich kann es mir auf der Eckbank gemütlich machen, mit den Beinen baumeln und warten, bis es zischt und gluckert. Und wenn es angenehm in der Küche riecht, klappen auch schon die Türen. Meine ausgeschlafenen Eltern erscheinen und freuen sich unheimlich über den Duft und das frisch gekämmte Kind hinter der schön gedeckten Tafel. Beide rufen fröhlich: Guten Morgen, Katja Henkelpott!, und meckern nicht, sondern seufzen höchstens ein bisschen, wenn ich aus Versehen den Milchtopf umgeworfen oder das Kaffeepulver am Filter vorbeigestreut habe, sodass es auf der Diele knirscht.
Guten Morgen, Mutter! Guten Morgen, Vater! Küsschen, Küsschen. Ich hab euch lieb.
Wir haben dich auch lieb. Schätzchen oder Mäuschen oder Käthchen oder Süße oder Hübsche...
Ich weiß nicht mehr, wie viele unheimlich schöne Wörter ich mir schon am frühen Morgen anhören durfte.
Wir waren eine glückliche Familie, bis meine Großmutter Habenicht ihren siebzigsten Geburtstag feierte und viele Leute aus dem Westen und aus dem Osten zusammenkamen. Da hatte ich zuerst einen großen Auftritt, dann gab es Krach und dann haben viele Leute gesagt, dass ich mich ändern müsste. Ich käme im Sommer in die Schule, ein neuer Lebensabschnitt würde beginnen. Der Spaß wäre vorbei!
Als ich das mit meinen beiden Ohren hörte, habe ich die Arme vor der Brust verschränkt, mit beiden Augen gefunkelt, aus beiden Nasenlöchern die Luft rausgelassen und meine Verwandtschaft angefaucht:
»Schule! Wenn ich das schon höre.«
Der 70. Geburtstag
Als der siebzigste Geburtstag näher rückte, gab es manchmal schon am Frühstückstisch Stress wegen der Verwandtschaft, die eingeladen werden sollte.
Großmutters Kate ist zu klein für eine Familienfeier und unsere Wohnung nicht groß genug. Außerdem müssen wir einen Cousin meiner Großmutter kennen lernen, das ist ein pensionierter Studienrat aus Timmendorfer Strand. Dann kommt noch eine alte Tante aus Hannover und natürlich Doktor Parisius mit Gemahlin, die Verwandtschaft von Raoul Habenicht. Alles sehr feine Leute.
»Wir haben es nicht so dick«, sagten meine Eltern, »und Großmutters Rente ist klein. Trotzdem dürfen wir uns nicht lumpen lassen.«
»Wir müssen ja nicht schlemmen an Großmutters Ehrentag«, sagte meine Mutter. »Wir sollten es kulturvoll machen, dann wird eine Feier erst fein und nicht so teuer.«
»Erklär das mal!«, sagte mein Vater ein bisschen höhnisch.
Meine Mutter sagte: »Du bist ein gebildeter Mann. Du dichtest ein langes Lied, das tragen wir zur Gitarre vor.
Schier siebzig Jahre bist du alt,
hast manchen Sturm erlebt ...
Und dann singen wir, wie Oma als Kind aus dem Sudetengau vertrieben worden ist, und wie tapfer sie gelebt hat, und wie traurig es war, als Großvater starb.«
Das weiß ich noch ganz genau. Der Sarg hat unter dem Nussbaum gestanden und wir
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