Das Feuer der Zeit
meiste in diesen Büchern als hanebüchener Unsinn erschien. An den Wochenenden ließ ich mich von der Hängematte in die Vergangenheit tragen. Die sonnigen Tage flossen fast unmerklich an mir vorbei, war ich doch die Schwalbe seines Sommers. Seine ständige, aber unsichtbare Begleiterin zu sein, reichte mir schon lange nicht mehr. Ich wollte mich leibhaftig mit ihm vereinen, unsere große Liebe leben, von der ich immer mehr überzeugt war.
Miriam machte sich inzwischen Sorgen um mich. Ich hatte an Gewicht verloren und trotz des vielen Schlafs dunkle Ringe unter den Augen bekommen. Sie hatte an diesem Sonntag vorbeikommen wollen, aber schon der Gedanke daran, für ihren Besuch wach sein zu müssen, hatte mich zittern lassen.
»Man könnte meinen, du bist auf Droge«, hatte sie gesagt und mich prüfend gemustert. »Geh wenigstens zum Arzt und lass dich durchchecken.«
Ich war zu verlegen gewesen, um ihr in die Augen zu sehen. Doch wie hätte ich ihr die Wahrheit sagen können? Jeder müsste mich für komplett verrückt halten.
Ich begann inzwischen schon, ein wenig an mir selbst zu zweifeln. Die Sache lief völlig aus dem Ruder. Doch selbst wenn ich gewollt hätte – ich konnte mich meiner Träume nicht erwehren und war auch weniger denn je davon überzeugt, dass es Träume waren. In mir war inzwischen die Überzeugung gereift, dass ich zum Ursprung zurückkehren musste, wenn ich ihm nahe sein wollte. Das Feuer war der Schlüssel.
Da ich auf die Schnelle keinen Urlaub einreichen konnte, ging ich pflichtschuldig zu meiner Hausärztin, die mir Blut abnahm und mich erst mal für eine Woche krankschrieb. Zu Hause belud ich mein Fahrrad mit Schlafsack, Isomatte und ein paar Lebensmitteln und machte mich auf den Weg zu der Wiese, auf der die Narbe der Feuerstelle noch immer schwarz aus dem satten Grün hervorstach. Ich schlug mich in das Unterholz, um genug Brennmaterial für das Feuer zu sammeln, das ich entzünden wollte. Sofort zog mich die Atmosphäre der Bäume in ihren Bann. Auch wenn der Wald heute viel lichter war als damals, fühlte ich mich, als sei ich endlich angekommen. Ich spürte die uralte Magie der Natur, welche die knorrigen Borken verströmten.
Hoch lodern die Flammen. Ich sehe die Keule des Wildschweins, die sich darüber dreht. Er sitzt abseits und bespricht sich mit dem Dunkelhaarigen, den ich schon früher als Häuptling oder Stammesführer identifiziert zu haben meine. Ungeduldig bohrt sich mein Blick in die Flammen, will ihn herbeirufen.
Am nächsten Morgen erwachte ich steif. Der Schlafsack war feucht von Tau, und neben mir lag die Plastikdose mit meinem Essen – ich war noch immer in meiner Zeit. Verzweifelt stöhnte ich auf. Wieso war es missglückt? Dieses Mal hatte er mich nicht in den Flammen erkannt. Warum? Meine Erinnerung war etwas vage. Hatte ich ihn erneut im Feuer gesehen? Oder war ich eingeschlafen, bevor der Kanal in die Zeit sich öffnen konnte, hatte wieder geträumt? Hätte ich mich wie damals betrinken müssen? Ich musste es einfach schaffen, wach zu bleiben! Heute Abend würde ich mich nicht hinlegen, nahm ich mir vor, sondern wie vor wenigen Wochen auf den Stämmen sitzen und trinken. Es schien mir die einzige Möglichkeit, ihn zu erreichen.
Ich radelte nach Hause und setzte mich an den Rechner. Bei meinen Recherchen hatte ich bislang nur sehr allgemeine Antworten erhalten, vielleicht sollte ich spezieller suchen, um das zu erfahren, was ich so dringlich wissen wollte? Nachdenklich gab ich die Worte ›Feuer‹, ›Zeitreise‹ und ›Tunnel in die Vergangenheit‹ ein. Diesmal bekam ich nur wenige Suchergebnisse. Bereits der zweite Link war der Treffer, nach dem ich so lange gesucht hatte. Ich las in einem Esoterik-Forum von einer Frau, die sich Gewitterhex nannte, der beim Blick in die Flammen eines Osterfeuers Ähnliches wie mir passiert war.
»Hat das einer von euch schon mal erlebt?«, wollte sie wissen.
Etliche Forumsmitglieder hatten daraufhin Belanglosigkeiten geschrieben, die mir genauso wenig weiterhalfen wie offensichtlich ihr.
Es war ihr letzter Eintrag, der mich wie elektrisiert auf den Bildschirm starren ließ: »Ich glaube, ich habe die Lösung gefunden. Es gibt eine Möglichkeit, die Zeitbarriere zu überwinden. Morgen werde ich es ausprobieren, auch wenn ich mich fürchte. Drückt mir die Daumen.«
Der Eintrag war schon über zwei Jahre alt, aber das war mir egal. Mit dieser Frau wollte ich mich austauschen. Ich meldete mich in dem
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