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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Weile, um sich zu beruhigen. Immer wenn er anfangen wollte zu sprechen, bekam er wieder einen hustenden Lachanfall.
    »Die alten Seher waren, wie Genaro dir sagt, furchtbare Männer«, sagte er und wischte sich die Augen. »Es gab etwas, das sie um jeden Preis zu vermeiden suchten: sie wollten nicht sterben. Auch der Durchschnittsmensch will nicht sterben, wirst du einwenden. Aber der Vorteil der alten Seher vor dem Durchschnittsmenschen war, daß sie über die Konzentration und die Disziplin verfügten, ungewollte Dinge durch ihre Absicht hinwegzuschieben, und sie beabsichtigten sogar den Tod hinweg.« Er unterbrach sich und sah mich an, die Augenbrauen hochgezogen. Er meinte, ich würde mir selber untreu, da ich nicht meine üblichen Fragen stellte. Mir sei wohl klar, sagte ich, daß er mich zu der Frage hinleiten wolle, ob es den alten Sehern gelungen sei, den Tod hinwegzubeabsichtigen, aber er selbst habe mir bereits gesagt, daß auch ihr Wissen über den Schwenker sie nicht davor bewahren konnte, sterben zu müssen.
    »Es gelang ihnen aber, den Tod hinwegzubeabsichtigen«, sagte er, mit besonderer Betonung seiner Worte. »Aber sie mußten trotzdem sterben.«
    »Wie beabsichtigten sie den Tod hinweg?« fragte ich. »Sie beobachteten ihre Verbündeten«, sagte er, »und sie da sahen, daß es Lebewesen mit viel größerer Widerstandskraft gegen die rollende Kraft waren, formten sich die Seher nach dem Bild ihrer Verbündeten.«
    Die alten Seher erkannten nämlich, erzählte Don Juan, daß nur die organischen Lebewesen eine Lücke aufwiesen, die einer Schüssel glich. Diese sei, bedingt durch ihre Größe und Form und ihre Brüchigkeit, ein idealer Angriffspunkt für die Angriffe der Schwenker-Kraft, die zum beschleunigten Aufbrechen und Kollabieren der leuchtenden Schale führten. Die Verbündeten dagegen, die nur einen Riß statt einer Lücke hätten, böten der rollenden Kraft nur eine kleinere Angriffsfläche, und seien daher praktisch unsterblich. Ihre Kokons könnten den Angriffen des Schwenkers unendlich lange standhalten, weil ihre haarrißförmigen Lücken ihr keinen idealen Angriffspunkt böten. »Die alten Seher entwickelten die ausgefallensten Techniken, um ihre Lücken zu schließen«, fuhr Don Juan fort. »Sie hatten im Grunde recht mit der Annahme, daß ein Haarriß widerstandsfähiger ist als eine schüsselförmige Lücke.« »Existieren diese Techniken noch?« fragte ich. »Nein, heute nicht mehr«, sagte er. »Aber es existieren noch einige Seher, die sie praktizieren.«
    Aus irgendwelchen, mir unverständlichen Gründen löste seine Antwort bei mir eine Reaktion schieren Entsetzens aus. Mein Atem beschleunigte sich augenblicklich, und ich konnte seinen heftigen Rhythmus nicht mehr kontrollieren. »Sie leben doch noch heute, nicht wahr, Genaro?« fragte Don Juan.
    »Absolut«, murmelte Genaro aus offenbar tiefem Schlaf heraus.
    Ich fragte Don Juan, ob er sich einen Grund für mein Erschrecken vorstellen könne. Er erinnerte mich an eine frühere Gelegenheit in diesem selben Zimmer, als die beiden mich fragten, ob ich die unheimlichen Wesen bemerkt hätte, die in dem Augenblick hereingekommen wären, als Genaro die Tür öffnete. »An diesem Tag fuhr dein Montagepunkt sehr tief in die linke Seite hinein und setzte eine beängstigende Welt zusammen«, fuhr er fort. »Aber das sagte ich dir bereits. Woran du dich allerdings nicht erinnerst, ist die Tatsache, daß du direkt in eine sehr ferne Welt gingst und dort zu Tode erschrakst.« Don Juan wandte sich an Genaro, der friedlich schnarchend die Beine von sich streckte.
    »Erschrak er nicht besinnungslos, Genaro?« fragte er. »Absolut besinnungslos«, murmelte Genaro, und Don Juan lachte.
    »Du mußt nämlich wissen, daß wir dich nicht tadeln dafür, daß du erschrakst«, fuhr Don Juan fort. »Wir sind selbst entsetzt über manche Taten der alten Seher. Ich bin mir sicher, daß du jetzt weißt, was es war, woran du dich nicht erinnern konntest. In jener Nacht sahst du die alten Seher, die noch am Leben sind.« Ich wollte schon einwenden, daß ich nichts dergleichen erkannt hätte, aber meine Stimme versagte. Ich mußte mich immer wieder räuspern, bevor ich ein Wort hervorbrachte. Genaro war aufgestanden und klopfte mir sachte den Rücken, unterhalb des Nackens - als hätte ich mich verschluckt. »Du hast einen Frosch in der Kehle«, sagte er. Ich dankte ihm mit hoher, piepsender Stimme. »Nein, ich glaube, du hast ein Küken da drin«, fügte er an

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