Das Feuer von Innen
wohl nicht bewußt geschähe, wenn ich mich der Bewegung meines Montagepunktes widersetzte, sondern daß jeder Mensch dies ganz automatisch täte. »Irgend etwas wird dich erschrecken, daß dir Hören und Sehen vergeht«, flüsterte er. »Du darfst nicht aufgeben, denn wenn du's tust, wirst du sterben, und die alten Geier, die hier in der Nähe hausen, werden sich an deiner Energie weiden.« »Laß uns von hier verschwinden«, flehte ich. »Ich pfeife darauf, eine Probe der Absurdität dieser alten Seher zu erleben.« »Es ist zu spät«, sagte Genaro, der jetzt, hellwach, neben mir stand. »Selbst wenn wir versuchen wollten, zu verschwinden, würden die beiden Seher und ihre Verbündeten von jener anderen Stelle dich zerreißen. Sie haben uns bereits eingekreist. Es sind mehr als sechzehn Bewußtheiten, die sich in diesem Augenblick auf dich richten.«
»Wer sind sie?« flüsterte ich Genaro ins Ohr. »Die vier Seher und ihr Gefolge«, antwortete er. »Sie haben uns bemerkt, seit wir hier sind.«
Ich wollte auf dem Absatz kehrtmachen und um mein Leben laufen, aber Don Juan hielt mich am Arm fest und deutete zum Himmel. Ich bemerkte, daß die Sichtverhältnisse sich deutlich verändert hatten. Die pechschwarze Dunkelheit, die vorhin herrschte, hatte sich zu einem angenehmen Dämmerzwielicht aufgehellt. Ich vergewisserte mich rasch der Himmelsrichtungen. Im Osten war der Himmel eindeutig heller. Ich empfand einen seltsamen Druck um den Kopf, meine Ohren summten. Ich fror und fieberte gleichzeitig. Ich hatte Angst wie noch nie zuvor, doch was mir eigentlich Sorgen machte, war dieses quälende Gefühl der Niederlage, oder ein Feigling zu sein. Ich ekelte mich und fühlte mich erbärmlich.
Don Juan flüsterte mir etwas ins Ohr. Ich müsse wachsam bleiben, sagte er, denn der Angriff der alten Seher könne jeden Moment über uns kommen.
»Du kannst dich an mir festhalten, wenn du willst«, flüsterte Genaro hastig, als sei ihm etwas auf den Fersen. Ich zögerte einen Augenblick. Ich wollte Don Juan nicht glauben machen, ich sei so ängstlich, daß ich mich an Genaro festhalten mußte.
»Da kommen sie!« sagte Genaro in lautem Flüsterton. Und dann stürzte für mich eine Sekunde lang die Welt zusammen, als irgend etwas meine linke Ferse packte. Ich spürte am ganzen Körper die Kälte des Todes. Ich wußte, ich war auf einen eisernen Fallenbügel getreten, vielleicht eine Bärenfalle. Dies alles blitzte mir durch den Kopf, bevor ich einen wilden Schrei ausstieß, einen Schrei, so irre wie meine Furcht.
Don Juan und Genaro lachten. Sie standen keine drei Schritt entfernt neben mir, aber ich war so entsetzt, daß ich sie nicht bemerkte.
»Singe! Singe, wenn dir dein Leben lieb ist«, hörte ich Don Juans tonlos gezischten Befehl.
Ich versuchte, meinen Fuß loszureißen. Ich empfand einen Schmerz, als stächen Nadeln durch meine Haut. Immer wieder verlangte Don Juan, ich solle singen. Er und Genaro stimmten einen volkstümlichen Schlager an. Genaro sah mich aus einem Abstand von kaum fünf Zentimetern an und sprach mir die Verse vor. Sie sangen unharmonisch und mit rauhen Stimmen, dabei so atemlos und in so schriller Tonlage, daß ich schließlich lachen mußte.
»Sing, sonst verreckst du«, sagte Don Juan zu mir. »Los, wir singen im Terzett«, sagte Genaro. »Laß uns einen Bolero singen.«
Ich fiel ein und sang mit ihnen in einem unharmonischen Trio. So sangen wir eine ganze Weile aus Leibeskräften, wie Trunkenbolde. Ich spürte, daß sich der eiserne Griff um meinen Fuß allmählich lockerte. Bis dahin hatte ich nicht gewagt, nach meiner Ferse zu schauen. Als ich es tat, erkannte ich, daß es keine Falle war, die mich umklammerte. Eine dunkle Form, wie ein Kopf, hatte sich in mich verbissen!
Nur mit äußerster Anstrengung konnte ich mich einer Ohnmacht erwehren. Mir wurde übel, und ich beugte mich automatisch vor, aber irgend jemand mit übermenschlichen Kräften packte mich, ohne daß es schmerzte, am Ellbogen und am Genick und hinderte mich daran, mich zu bücken. Ich erbrach mich über meine Kleider.
Mein Ekel war so groß, daß mir die Sinne schwanden. Don Juan besprenkelte mir das Gesicht mit Wasser aus der kleinen Kalebasse, die er immer mitnahm, wenn wir in die Berge gingen. Das Wasser floß mir in den Kragen. Die Kälte stellte mein physisches Gleichgewicht wieder her, aber sie vermochte nichts gegen die Kraft, die mich am Ellbogen und am Genick festhielt. »Ich glaube, du gehst zu weit in deiner
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