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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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die Kreise mich anekelten. Ich spürte sie in der Magengrube. Es war ein Widerwille, den ich auch an diesem Tag spürte.
    Wie ich mich an das Ereignis erinnerte, stieg all das Unbehagen wieder in mir auf, das ich damals empfunden hatte. Während ich mich übergab, lachte Don Juan, bis er nach Atem ringen mußte.
    »Mann, was bist du überspannt«, sagte er. »Die rollende Kraft ist doch nicht so schlimm. Sie ist sogar freundlich. Die neuen Seher empfahlen, wir sollten uns ihr öffnen. Auch die alten Seher öffneten sich ihr, aber aus Gründen und für Zwecke, die durch ihren Wahn und Eigendünkel motiviert waren.
    Die neuen Seher dagegen wollen sich mit ihr anfreunden. Sie machen sich mit dieser Kraft vertraut, indem sie ihr ohne Eigendünkel entgegentreten. Und das hat erstaunliche Folgen.« Um sich der rollenden Kraft zu öffnen, sagte er, brauche man nichts anderes zu tun, als seinen Montagepunkt verschieben. Sähe man diese Kraft in wohlüberlegter Absicht, dann bestünde kaum Gefahr. Eine sehr gefährliche Situation sei dagegen die unfreiw illi ge Verschiebung des Montagepunktes, bedingt etwa durch körperliche Schwäche, seelische Erschöpfung, oder auch nur eine kleine emotionale oder physische Krise, etwa wenn man verängstigt oder betrunken sei.
    »Wenn sich der Montagepunkt unfreiwillig verschiebt, dann bricht die rollende Kraft den Kokon auf«, fuhr er fort. »Ich erzählte dir oft von einer Lücke, die der Mensch unter seinem Nabel hat. Sie befindet sich nicht wirklich unter dem Nabel selbst, sondern auf dem Kokon, in Höhe des Nabels. Die Lücke ist eher so etwas wie eine Beule, eine natürliche Schramme im sonst glatten Kokon. Das ist die Stelle, wo uns der Schwenker unaufhörlich trifft und wo der Kokon aufbricht.«
    Falls es sich nur um eine kleine Verschiebung des Montagepunktes handle, erklärte er, sei die Bruchstelle nur sehr schmal, und der Kokon repariere sich bald wieder von selbst. Bei dem Betreffenden zeigten sich dann, wie bei jedem hin und wieder, Farbflecken und verzerrte Formen, die auch mit geschlossenen Augen wahrnehmbar seien.
    Falls es sich aber um eine größere Verschiebung handle, sei auch die Bruchstelle breiter, und der Kokon brauche längere Zeit, um sich selbst zu reparieren - wie etwa im Fall des Kriegers, der absichtlich Kraft-Pflanzen benutze, um eine Verschiebung herbeizuführen, oder auch bei Leuten, die Drogen nähmen und dabei unwissentlich dasselbe täten. In solchen Fällen fühlten sich die Betreffenden taub und kalt; sie hätten Sprach- und Denkschwierigkeiten; es sei, als wären sie von innen erfroren. Falls aber der Montagepunkt sich infolge eines Traumas oder einer tödlichen Krankheit sehr drastisch verschiebe, bewirke die rollende Kraft einen Bruch über die ganze Länge des Kokon. Der Kokon platze auf und falte sich zusammen, und der Betreffende müsse sterben.
    »Kann auch eine freiwillige Verschiebung eine solche Lücke herbeiführen?« fragte ich.
    »Mitunter«, erwiderte er. »Wir sind tatsächlich sehr zerbrechlich. Nachdem der Schwenker uns immer wieder trifft, kommt der Tod durch diese Lücke. Der Tod ist die rollende Kraft. Wenn er eine Schwäche in der Lücke eines leuchtenden Wesens findet, bricht er sie automatisch auf und läßt den Kokon platzen.« »Hat jedes Lebewesen so eine Lücke?« fragte ich. »Gewiß«, antwortete er. »Hätte es keine, dann würde es sterben. Die Lücken unterscheiden sich aber nach Größe und Gestaltung. Beim Menschen ist die Lücke eine schüsselartige Vertiefung von der Größe einer Faust, ein sehr zerbrechliches, verletzliches Gebilde. Die Lücken anderer organischer Wesen sind ganz ähnlich wie jene des Menschen; bei manchen sind sie stärker als bei uns, bei manchen sind sie schwächer. Ganz anders aber ist die Lücke bei anorganischen Wesen beschaffen. Sie ist eher wie ein langer Faden, ein Haarriß in der leuchtenden Form. Folglich sind anorganische Wesen unendlich widerstandsfähiger als wir. Die Langlebigkeit dieser Wesen hat etwas unheimlich Anziehendes, und die alten Seher konnten dieser Anziehung nicht widerstehen, und sie ergaben sich ihr.«
    Diese Kraft, sagte er, könne zwei, einander entgegengesetzte Folgen zeitigen. Die alten Seher hätten sich von der Kraft gefangen nehmen lassen; die neuen Seher aber würden für ihre Anstrengung mit dem Geschenk der Freiheit belohnt. Durch die Beherrschung der Absicht mit der rollenden Kraft vertraut geworden, öffneten die neuen Seher irgendwann von sich aus ihren

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