Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
gab, das nicht vorher erarbeitet wurde. Im Schwarz alter Deckenbalken glichen die Haare denen ihrer Mutter, doch waren Luzis weder glatt noch zu einem Dutt gebunden – kraus und ungezähmt umrahmten sie das kleine Oval des Gesichts. Das war von einer gesunden Helle und wirkte scharf und klar, ohne jede breite, unbedachte Fläche. Nase – nicht ganz gerade – und Kinn reckten sich ohne Scheu in die Welt, aber auch ohne vorwitzige Spitzheit. Der Mund, dessen Lippen kaum auf sich aufmerksam machten, lag dazwischen in einer ungekrümmten Linie, von der nur die Winkel verrieten, dass er gerne lachte, aber selten Gelegenheit dazu fand. Die Brauen waren lang und dicht und gaben den dunklen Augen einen Anschein von leicht skeptischer, unbeirrbarer Wachheit. Es waren Augen, die alles fest zu packen und zu durchschauen gewohnt waren – die Rechtfertigung forderten von allem, was in ihr Blickfeld geriet, die aber auch selbst keine Geheimnisse hüteten und Freundschaft zu geben bereit waren.
Und doch wollten sie jetzt keinen Ruhepunkt finden, sie flitzten hin und her wie bei einer verängstigten Kreatur – und trauten sich nicht, einem der Männer am Fuße der Treppe länger ins Gesicht zu schauen. Dabei war mit unverschämter Ausschließlichkeit das Einzige, was all die von dort unten heraufblickenden Augenpaare in ihrer Aufmerksamkeit gefangen hielten, Luzi selbst. Nur die Mutter schaute, mit kaum verborgener Besorgnis, nicht auf ihre Tochter, sondern auf deren gar zu wohlwollende Betrachter.
Noch immer hatte Luzi keinen weiteren Satz hervorgebracht, und sie stand da, als wolle sie gleich wieder umkehren zur Fortsetzung ihrer Verrichtungen dort im oberen Stockwerk. Wieder war es der Vollbärtige, der das Schweigen brach und mit einer ausholend winkenden Armbewegung aufforderte:
»Also. Komm nunter!«
Seine Genossen verstärkten aufmunternd diesen Wunsch. Es blieb der jungen Frau, wollte sie nicht offen unhöflich erscheinen, nichts übrig, als der Aufforderung nachzukommen, was sie so zögerlich tat, wie es nur eben noch schicklich war.
Kaum war sie in Reichweite, legte sich die Pranke des Bärtigen auf ihre Schulter, zog sie schneller herab und dirigierte sie zu Greider, auf dessen Schulter sich dann die andere Hand des grinsenden Mannes niedersenkte.
»Des is euer Wintergast. Greider. Greider – des is die Luzi.«
Die beiden nickten sich ob dieser recht ungehobelten Vorstellung leicht verlegen zu, und die Augen des Mädchens fanden in denen Greiders für eine kleine Weile Ruhe. Und obwohl ihr Gesicht, ihr ganzer Körper nichts von seiner misstrauischen Spannung verlor, schien sie etwas Zutrauen zu gewinnen bei dem leichten Lächeln, das in Greiders Mundwinkeln lag – weil es die ganze Situation in der völlig unbesorgten Anerkennung ihrer unterschwelligen Bedrohlichkeit plötzlich harmlos zu machen schien.
Unterdessen erklärte der Bärtige den Sinn und Umstand des fremden Besuchs, in Worten, die knapp und grob waren, aber durchzogen von hauchfeinem Spott. Und dann meinte er zu der jungen Frau:
»Tust dich schön um ’n Gast kümmern, Luzi. Aber fei net zu schön!«
Er sagte dies, das Mädchen dabei in die Wange kneifend,mit einem Zwinkern und einem Lachen, das seine Kumpane sofort aufnahmen. Aber es war nicht Heiterkeit, was dabei aus seinen Augen blitzte, und das scherzhaft sich gebende Wangenkneifen wurde kurz vor dem Loslassen für einen Moment so fest, dass Luzi beinahe aufgeschrien hätte und sich danach die gerötete Backe rieb.
Einer der anderen Männer, noch lachend, klopfte derweil Greider auf den Rücken, wie um diese so überaus gelungene Pointe zu unterstreichen und ihren humoristischen Wert dem Fremden näherzubringen – aber auch das fiel eher wie ein Hieb aus, sodass Greider Mühe hatte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Eng standen sie beisammen, Greider, Luzi und der Bärtige; die Übrigen hatten wie zufällig einen Kreis um sie geschlossen, der sich anlässlich des gemeinsamen Gelächters zwanglos dicht zusammengezogen hatte. Auf Luzis Seite am dichtesten – genug für einige beiläufige Berührungen ihres Rockes, ihres Rückens, ihres Haars. Die Witwe Gader stand außerhalb, den Hals nach einem Blick auf ihre Tochter reckend und auch nervös auflachend, als hoffte sie, dadurch einen Glauben an die Heiterkeit des Moments zu finden.
Das Lachen verklang, der Kreis verharrte. Luzi schien sich eine passende Erwiderung nicht zuzutrauen, Greider schien keine für nötig zu erachten.
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