Das Flammende Kreuz
als dass er ihn stillschweigend hätte hinnehmen können. Kurz entschlossen machte er kehrt und begab sich auf den Rückweg zu Jocastas Lager.
Jocasta Cameron war zu Hause, sozusagen jedenfalls; er sah ihre schlammdurchtränkten Schuhe vor dem Zelt stehen. Ungeachtet ihrer Blindheit unternahm sie manchmal Besuche bei Freunden, wobei sie sich von Duncan oder ihrem schwarzen Butler Ulysses begleiten ließ. Weitaus öfter ließ sie jedoch das gathering zu sich kommen, und in ihrem Zelt wimmelte es von morgens bis abends von Besuchern, denn die schottische Society der Cape-Fear-Region und der ganzen Kolonie war darauf aus, ihre viel gepriesene Gastfreundschaft zu genießen.
Im Augenblick schien sie jedoch zum Glück allein zu sein. Roger erblickte sie durch den zurückgeschlagenen Zelteingang. Sie saß in ihrem Rattansessel
und ruhte sich aus, die Füße in Pantoffeln, den Kopf entspannt zurück gelehnt. Ihre Leibdienerin Phaedre saß auf einem Hocker neben dem offenen Zelteingang, eine Nadel in der Hand, und blickte in dem gedämpften Licht mit zusammengekniffenen Augen auf eine Flut aus blauem Stoff, die ihr vom Schoß quoll.
Jocasta spürte ihn als Erste; sie setzte sich in ihrem Sessel auf, und ihr Kopf wandte sich abrupt, als er den Zelteingang berührte. Phaedre blickte verspätet auf, eher eine Reaktion auf die Bewegung ihrer Herrin als auf seine Gegenwart.
»Mr. MacKenzie. Es ist doch die Singdrossel, oder?«, sagte Mrs. Cameron und lächelte in seine Richtung.
Er lachte und folgte ihrer einladenden Geste, indem er mit gesenktem Kopf das Zelt betrat.
»So ist es. Und woran habt Ihr das erkannt, Mrs. Cameron? Ich habe doch kein Wort gesagt, geschweige denn gesungen. Klingt mein Atem so musikalisch?« Brianna hatte ihr von der gespenstischen Fähigkeit ihrer Tante erzählt, ihre Blindheit mit Hilfe anderer Sinne wettzumachen, doch ihr Scharfsinn überraschte ihn dennoch.
»Ich habe Eure Schritte gehört, und dann habe ich das Blut an Euch gerochen«, sagte sie trocken. »Die Wunde hat sich wieder geöffnet, nicht wahr? Kommt, Junge, setzt Euch. Möchtet Ihr eine Tasse Tee oder einen Whisky? Phaedre - bitte einen Lappen.«
Er fuhr sich unwillkürlich mit den Fingern an den Schnitt an seiner Kehle. Er hatte ihn im Rausch der Ereignisse des Tages ganz vergessen, doch sie hatte Recht; er hatte wieder angefangen zu bluten und einen verkrusteten Fleck an Hals und Hemdkragen hinterlassen.
Phaedre war bereits aufgestanden und hatte begonnen, ihm aus der Auswahl an Kuchen und Plätzchen auf einem kleinen Tisch neben Jocastas Sessel ein Tablett zusammenzustellen. Hätte er nicht Erde und Gras unter seinen Füßen gehabt, hätte er kaum sagen können, dass er sich nicht in Jocastas Salon auf River Run befand. Sie war in ein wollenes Schultertuch gehüllt, doch selbst dieses wurde von einer prachtvollen Rauchquarzbrosche zusammen gehalten.
»Es ist nichts«, sagte er verlegen, doch Jocasta nahm ihrer Magd den Lappen aus der Hand und bestand darauf, den Schnitt selbst zu reinigen. Ihre langen Finger waren kühl und überraschend geschickt.
Sie roch nach Holzrauch, wie jedermann auf dem Berg, und nach dem Tee, den sie gerade getrunken hatte, doch ihr haftete nichts von dem schwach säuerlichen Kamphergeruch ab, den er normalerweise mit älteren Damen assoziierte.
»Tsk, Ihr habt es auch auf Eurem Hemd«, teilte sie ihm mit, während sie den steifen Stoff missbilligend befühlte. »Sollen wir es für Euch waschen? Allerdings weiß ich nicht, ob Ihr es nass tragen möchtet; bis heute Abend wird es niemals trocken.«
»Äh, nein, Ma’am. Danke, ich habe noch eins. Für die Hochzeit, meine ich.«
»Nun denn.« Phaedre hatte ein Töpfchen Schmalzsalbe geholt; er konnte riechen, dass Claire sie hergestellt hatte, weil sie nach Lavendel und Gelbwurz duftete. Jocasta nahm einen Daumennagel voll Salbe und verteilte sie sorgfältig auf seiner Wunde. Ihre Finger bewegten sich zielsicher über sein Kinn.
Ihre Haut war gepflegt und weich, zeigte aber nicht nur die Spuren des Alters, sondern auch des Wetters. Auf ihren Wangen waren rötliche Flecken, Netze aus winzigen, geplatzten Venen, die ihr von weitem ein gesundes, vitales Aussehen verliehen. Ihre Hände waren frei von Leberflecken - natürlich, sie entstammte einer reichen Familie und hatte sicher ihr Leben lang im Freien Handschuhe getragen -, doch die Gelenke waren knotig, und ihre Handflächen waren vom Zug der Zügel leicht schwielig. Sie war keine Treibhauspflanze,
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