Der vergessene Templer
Im Auftrag des Bischofs war eine Horde zusammengestellt worden, die den Befehl hatte, alle Burgbewohner radikal zu vernichten. Zwölf waren es, die sich nach langer Flucht auf die Feste zurückgezogen hatten. Zwölf Templer, die sich mit aller Macht gegen den Ansturm stemmten. Und sie hatten gekämpft. Sie hatten bewiesen, wozu sie fähig waren. Aber die Übermacht war einfach zu groß gewesen. Der Reihe nach waren sie hingemetzelt worden. Einige von ihnen waren als Tote sogar noch zerstückelt worden.
Bis auf einen!
Victor von Narbonne, der Anführer, hatte überlebt. Wenn auch verletzt, aber er hatte es geschafft. Vielleicht wäre er den Angreifern sogar noch entkommen, aber er war einfach zu schwach gewesen. Und so war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich in der Burg zu verstecken und die Nacht über abzuwarten.
In einem kleinen Raum hatte er Schutz gefunden. Als Fenster diente eine schmale Luke, durch die jetzt das erste Tageslicht drang und einen hellen Streifen auf die Wand malte.
Der Ritter wusste nicht, ob es das Licht war, das ihn geweckt hatte, oder er von sich aus erwacht war. Jedenfalls schlug er die Augen auf, und mit dieser ersten Bewegung kehrten die Erinnerungen zurück. In seinen Ohren hallten die Schreie der Menschen nach. Auch die Geräusche der Angreifer, die ebenfalls Verluste hatten hinnehmen müssen. Er sah die verzerrten Gesichter, er roch das Blut, hörte die verzweifelten Gebete der Schwerverletzten und wusste, dass er der Einzige war, der das Grauen überlebt hatte.
Als Letzter!
Alle anderen waren tot, regelrecht hingeschlachtet!
Dieser Gedanke wollte bei ihm einfach nicht weichen. Er trieb ihm das Wasser in die Augen. All die Kämpfe waren vergebens gewesen. Die Schergen des Mainzer Bischofs hatten gewonnen, und sie hatten dabei im Namen desjenigen gekämpft, in dessen Auftrag auch die Templer immer unterwegs gewesen waren und ihre Zeichen gesetzt hatten.
Die Kreuzzüge, die Blutschlachten in Jerusalem, all das war vergessen, weil der Neid und der Hass der Kirchenfürsten auf die Templer einfach zu stark geworden waren.
Victor von Narbonne stemmte sich hoch. Ein normales Aufstehen war nicht möglich. Es gab kaum eine Stelle am Körper, die nicht schmerzte. Seine Rüstung hatte einiges abgehalten, aber eben nicht alles. Zum guten Schluss war ihm noch der Helm vom Kopf geschlagen worden. Danach hatte ihn der Hieb mit einer Waffe getroffen und ihm das halbe Ohr weggeschlagen. Was noch mit seinem Kopf verbunden war, konnte man als blutverkrustete Wunde bezeichnen.
Er konnte sich nicht mehr erinnern, wie es ihm gelungen war, hier ein Versteck zu finden. Es wäre für die Angreifer ein Leichtes gewesen, ihn zu verfolgen und zu stellen, doch wahrscheinlich waren auch sie einfach zu schwach gewesen.
Der Templer stand auf. Er kam sich vor wie ein Vergessener, und das war sein Glück. Den schweren Brustpanzer trug er nicht mehr. Er war einfach zu kraftlos, um sich diesen Schutz zu gönnen. So wenig wie möglich wollte er am Leib tragen.
Breitbeinig stellte er sich hin. Er atmete durch und schaute gegen den Lichtstreifen an der Wand. Vielen Menschen gab die Sonne Hoffnung. Bei ihm war das nicht der Fall. In seinem Innern sah es trostlos aus. Er kam über den Verlust seiner Freunde nicht hinweg, aber das war nicht alles, was ihn so deprimierte.
Er fühlte sich vom Klerus enttäuscht, denn auf Anweisung des Bischofs war der Angriff erfolgt. Der Mann wiederum hatte sich sklavisch an die Anordnungen Roms gehalten. All die Idole, für die er und seine Freunde gekämpft hatten, waren dahin, und auch er spürte, dass ihn die grausame Schlacht verändert hatte. Sein Herz war hart geworden. Alles, für das er mal gekämpft hatte, war verloren gegangen, und er merkte, wie der blanke Hass ihn überschwemmte.
Zunächst mal wollte er sein Leben retten. Für seine Freunde konnte er nichts mehr tun.
Mit schwerfälligen Schritten ging er zur Tür. Dabei merkte er, dass ihn das linke Bein schmerzte, und er erinnerte sich daran, dort ebenfalls getroffen worden zu sein. Ein Schwertstreich hatte ihm die Wade aufgerissen.
Es gab eine schmale Tür, die er öffnen musste. Dahinter lag die größere Küche. Es roch nach kaltem Rauch und verbranntem Holz. Das große Feuer war erloschen. Die Pfannen, Töpfe und Tiegel standen leer herum. Es gab keine Nahrung mehr. Während der Belagerung war sie von den Templern aufgebraucht worden, und so war ihnen nichts anderes übrig geblieben, als zu kämpfen, um
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