Das Flüstern der Toten (German Edition)
der, befehligte er ein Millionenheer, als General unter Dieben, und ihm war der Schlüssel zu den Pforten der Hölle in die Haut geritzt.
Doch der Stolz seines Vaters wollte sich nicht damit begnügen. Er wollte den Himmel. Er wollte die vollständige Herrschaft über jedes Lebewesen im Weltall. Er wollte Gottes Thron.
Reyes befolgte alle Befehle seines Vaters und wartete geduldig auf eine Gelegenheit, als Mensch in die Welt zu kommen, um schließlich in den Himmel aufzufahren und der Hölle den Rücken zu kehren. Immer auf der Suche nach Listen und Schlichen, durchstieß er die Tore der Unterwelt und fand die Portale am äußersten Rand des Universums.
Und dann entdeckte er mich. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, konnte ich mich nicht mit seinen Augen sehen. Alles, was ich sah, waren Tausende Lichter von gleicher Gestalt. Reyes jedoch schaute genauer hin und erblickte eines aus gesponnenem Gold, eine glänzende, gleißende Tochter der Sonne. Dann drehte sie sich um, sah ihn und lächelte, und Reyes war verloren.
Als ich in die Gegenwart zurückstürzte, spürte ich ihn, wie er sich, unverhohlen misstrauisch, auf einen Arm stützte. »Ich wollte nicht, dass du das siehst«, sagte er und klang erschöpft. Er atmete schwer.
Ich zitterte, noch kraftlos von den Höhepunkten, deren Wirkung allmählich nachließ. »Das war ich?«, flüsterte ich erstaunt.
Er lag neben mir, um wieder zu Atem zu kommen, stützte den Kopf auf einen Arm und sah mich an. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass in seinen Augen Milliarden Lichter funkelten wie ferne Galaxien. »Du wirst doch nicht noch einmal versuchen, vor mir davonzulaufen, oder?«
Zu entsetzt, um zu lächeln, fragte ich ihn: »Würde mir das etwas nutzen?«
Er zuckte mit einer Schulter. »Wenn du wüsstest, wozu du fähig bist, schon.«
Eine sehr aufschlussreiche Bemerkung. Ich wälzte mich auf die Seite, um ihn anzusehen. Seine Augen glänzten zufrieden und gelöst. »Und wozu bin ich fähig?«
Er grinste. Sein schönes Gesicht – viel zu schön für einen Menschen – entspannte sich vor meinen Augen. »Wenn ich dir das sage, gerate ich ins Hintertreffen.«
»Aha«, sagte ich, als sich ein Puzzleteil in die richtige Stelle fügte. »Der vollendete Feldherr hat mehr Tricks auf Lager als ein betagter Zauberkünstler.«
Als würde er sich schämen, senkte er das Kinn. »Das ist lange her.«
Sein Körper schimmerte neben meinem, und ich konnte nicht anders, als unentwegt auf die Hügel und Täler seiner formvollendeten Gestalt zu starren. Auf einmal bemerkte ich, dass sein Körper von Narben übersät war, einige sehr klein, andere … nicht so klein. Ich fragte mich, ob sie auf sein Leben mit Earl Walker zurückgingen oder auf sein Leben als General der Hölle. »Was hast du vorhin gemeint, als du sagtest, Satan sei auf der Suche nach dir gewesen?«
Sein Finger umkreiste träge meinen Bauchnabel und löste winzige Erschütterungen aus, die sich bis in mein Innerstes fortpflanzten. »Dass er nicht mehr nach mir sucht.«
»Hat er aufgegeben?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Nein. Er hat mich gefunden.«
Alarmiert riss ich die Augen auf. »Aber, ist das nicht furchtbar?«
»Doch.«
Ich setzte mich auf, um in sein Gesicht sehen zu können. »Dann musst du dich wieder verstecken. Keine Ahnung, wo du früher warst, aber du musst dorthin zurück und dich verstecken.«
Doch er hörte mir nicht mehr zu. Etwas jenseits meiner Wahrnehmung hatte ihn abgelenkt. Plötzlich sprang er auf, eingehüllt in seinen Mantel. Ich blickte mich um, sah aber nicht, was er sah. Und das beunruhigte mich, vor allem in Anbetracht dessen, was ich soeben erfahren hatte. Es gab so vieles, was um mich herum vorging, ohne dass ich es mitbekam, tagtäglich zu jeder Minute.
»Reyes«, hauchte ich, doch ich hatte seinen Namen noch nicht ganz ausgesprochen, da stand er vor mir und drückte mir die Hand auf den Mund.
Sein Umhang umfing mich und kitzelte meine Haut, als wäre er elektrisch aufgeladen. Seine Augen begannen zu lodern, er wurde durchscheinend und stand in zwei Welten zugleich. Im nächsten Moment nahm er die Hand weg und drückte mir einen Kuss auf den Mund, bei dem ich fröstelte.
»Vergiss nicht«, sagte er noch, bevor er verschwand, »wenn sie dich finden, haben sie Zugang zu allem, was heilig ist. Portale müssen um jeden Preis geschützt werden.«
Er klang auf einmal so todtraurig, dass ich schwer schluckte. »Was heißt um jeden Preis?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort
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