Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
von Faichen Glas.
»Du hast Ulam Fionn also Schutz geboten und damit auf dich genommen, dass du vor dem Gesetz berechtigt bist, für ihn zu handeln.«
Bruder Mongan äußerte sich dazu nicht weiter, nickte aber.
»Du würdest auch dafür bürgen und einstehen, dass Ulam Fionn während seines Aufenthaltes in der Freistatt hier keinerlei Unrecht begeht? Dass er den Schutzort nicht dazu nutzt, fortzureiten und irgend jemandem Schaden zuzufügen?«
»Selbstverständlich.«
»Und so, wie du mich von vornherein darauf hingewiesen hast, dass die Kapelle ein Sanktuarium ist, erfahren das auch alle anderen, die hierherkommen, aus deinem Munde, und du gibst ihnen zu verstehen, dass sie sich an das Gesetz zu halten haben und den Schutzort nicht betreten dürfen?«
Etwas unwirsch bestätigte Bruder Mongan auch das mit einem »Ja«.
So weit, so gut. Fidelma nahm ihm das Gesagte ab.
»Dann brauche ich nur noch diesen Ulam Fionn zu sehen und mit ihm ein paar Worte zu wechseln.«
Sehr erbaut schien Bruder Mongan von ihrem Anliegen nicht und wollte schon abwehren, meinte dann aber achselzuckend: »Warte hier. Er ist arg beunruhigt. Am besten, ich gehe und spreche erst mit ihm.«
Er machte kehrt und ging zurück in die Kirche. Fidelma trat zu ihrem Pferd und tätschelte es zunächst gedankenverloren. Dann aber schaute sie sinnend zu den beiden anderen grasenden Tieren.
Von der Tür zur Kapelle her vernahm sie Bruder Mongans Stimme: »Du kannst jetzt kommen, meine Tochter.«
Sie folgte seinem Ruf, näherte sich der Kapelle, betrat die Eingangshalle und brauchte ein paar Augenblicke, um sich an die Dunkelheit im Innern zu gewöhnen. Es gab zwar ein paar hohe Fenster, auch brannten Kerzen, aber der Raum war trotzdem düster. Das Flackern der Kerzen erzeugte unruhig tanzende Schatten.
»Du wünschst mich zu sehen?«
Ulam Fionn war ein kleiner dünner Mann mit tiefliegenden Augen und einer Hakennase. Die Stimme klang kratzig. Er war Fidelma von vornherein unsympathisch, und sogleich bekam sie Gewissensbisse. Wieder hatte sie sich von ihrem ersten Eindruck leiten lassen und war zu einem Vorurteil gelangt. Dabei hatte Brehon Morann lang genug gepredigt, dass jemand, der Recht sprechen will, tolerant und unbefangen sein muss.
»Ich bin gekommen, um mich zu vergewissern, dass die entsprechenden Vorschriften zum Schutzrecht in deinem Fall ordnungsgemäß eingehalten wurden. Wie mir Bruder Mongan bestätigt, ist das geschehen.«
Ungerührt und stumm stand der Schutzsuchende da.
Fidelma gab einen Stoßseufzer von sich und suchte mit raschem Blick das unmittelbare Umfeld zu erfassen.
»Du bist gekommen, um nur für dich Zuflucht zu suchen?«
»Ich bin allein hier.«
»Was gedenkst du weiter zu tun?«
»Was ich zu tun gedenke?« Der Mann schien unschlüssig.
»Eine Freistatt wird nicht unbegrenzt gewährt. Faichen Glas, der dich hierher verfolgt hat, kann beim Abt, in dessen Wirkungskreis diese Kapelle fällt, darum ersuchen, deinen Fall vor ihn und seinen Brehon bringen zu dürfen … Auf immer und ewig kannst du nicht hier bleiben.«
»Was …?« Ulam Fionn sah erschrocken zu Bruder Mongan hinüber, und Fidelma bemerkte, dass auch der Mönch bestürzt reagierte.
»Ich dachte immer, der Glaube besagt, dass jedermann die Freistatt zu respektieren hat«, begehrte er auf.
»Faichen Glas muss seine Zeugen und seinen eigenen Brehon beibringen, die dann den Streitfall in Gegenwart des Abts verhandeln, des Abts Sionna«, erläuterte Fidelma. »Gemeinsam mit Faichen Glas’ Richter entscheidet der Abt, ob eine Gegenklage zugelassen wird. Er kann die zeitliche Begrenzung der Freistattgewährung festlegen oder dich auch gleich Faichen Glas überantworten, damit er dich vor Gericht stellt.«
»Dann bin ich verloren«, sagte Ulam Fionn bitter. »Ich habe keinen Zeugen, der mir zur Seite springen könnte. Man wird mich aufgrund der Aussage von Nessáns Witwe verurteilen; es geschah aus Notwehr, dass ich ihren Mann getötet habe. Und es ist dessen Vetter, der hinter mir her ist.«
»Du hast den Mann aus Notwehr getötet? Erzähl.«
»Ich habe eine Abkürzung durch Nessáns Ländereien genommen, ganz in der Nähe von seinem Hof. Er tauchte plötzlich auf und fiel über mich her. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste mich verteidigen, und dabei war ich wohl zu heftig. Ich hörte, wie seine Frau loskreischte: ›Mord!‹ und versteckte mich. Ich wusste, er hatte viele Freunde in der Umgebung, ich aber war allein. Dann erfuhr ich,
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