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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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des Wissens. Statt nachts in den Bars und Bordellen herumzuschnüffeln, musst du dich in Buchläden, Bibliotheken und Korridoren von Universitätsinstituten herumtreiben. Und dann in deinem Büro sitzen, die Beine auf dem Tisch, einen Pappbecher mit Whisky vor dir, daneben die Flasche, vom Drugstore an der Ecke in einer Packpapiertüte mitgebracht. Das Telefon klingelt, jemand sagt: »Ich übersetze gerade ein Buch und stoße da auf einen gewissen — oder gewisse — Mutakallimun. Ich krieg nicht raus, was das ist.«
    Du weißt es auch nicht, aber egal, du sagst ihm, er soll dir zwei Tage Zeit geben. Du gehst in die Bibliothek, blätterst ein paar Kataloge durch, bietest dem Typ an der Auskunft eine Zigarette an, findest eine Spur. Abends triffst du einen Assistenten vom Islamistischen Institut an der Bar, zahlst ihm ein Bier, zwei, er verliert die Kontrolle und gibt dir die gesuchte Information für nix. Am nächsten Tag rufst du den Kunden an: »Also, die Mutakallimun waren radikale muslimische Theologen zur Zeit von Avicenna. Sie sagten, die Welt sei gewissermaßen eine Staubwolke von Akzidentien und gerinne nur durch einen momentanen und vorübergehenden Akt des göttlichen Willens zur Form. Es genüge, dass Gott sich für einen Moment zerstreuen und schon falle das Universum in Stücke. Reinste Anarchie der Atome ohne jeden Sinn. Genügt das? Hat mich drei Tage gekostet, zahlen Sie mir, was Ihnen angemessen scheint.«
    Ich hatte das Glück, zwei Zimmer mit einer kleinen Küche in einem alten Gebäude am Stadtrand zu finden, das früher einmal eine Fabrik gewesen sein musste, mit einem Flügel für die Büros. Die Appartements, die man daraus gemacht hatte, gingen alle auf einen langen Flur, meins lag zwischen einer Immobilienagentur und dem Labor eines Tierkörperpräparators (»A. Salon — Taxidermist«). Es war beinahe wie in einem amerikanischen Wolkenkratzer der dreißiger Jahre, es fehlte nur noch eine Glastür, und ich wäre mir vorgekommen wie Philip Marlowe. Ich stellte eine ausziehbare Couch in das hintere Zimmer und einen Schreibtisch ins vordere. Zwei Regale füllten sich mit Atlanten, Lexika und Katalogen, die ich nach und nach kaufte. Anfangs musste ich noch Kompromisse machen und auch Examensarbeiten für verzweifelte Studenten schreiben. Das war nicht besonders schwer, ich brauchte bloß die aus dem letzten Jahrzehnt abzuschreiben. Dann schickten mir die Freunde aus den Lektoraten Manuskripte und Übersetzungen zum Redigieren, natürlich nur die unangenehmsten und für mäßiges Honorar.
    Aber ich sammelte Erfahrungen, akkumulierte Kenntnisse und warf nichts weg. Alles wurde säuberlich in Karteien verzettelt. Ich dachte noch nicht daran, die Karteien in einen Computer zu übertragen (die kamen damals gerade erst auf, Belbo war ein Pionier), ich operierte noch mit handwerklichen Mitteln, aber ich hatte mir eine Art künstliches Gedächtnis aus Kärtchen mit Querverweisen geschaffen. Kant - → Nebelfleck -→ Laplace... Kant -→ Königsberg -→ die sieben Brücken von Königsberg -→ Theoreme der Topologie... Ein bisschen wie jenes Spiel, bei dem man durch Assoziation in fünf Schritten von Würstchen zu Plato gelangen soll. Sehen wir mal: Würstchen -→ Schwein -→ Borste -→ Pinsel -→ Manierismus -→ Idee -→ Plato. Leicht. Auch das verquasteste Manuskript brachte mir noch mindestens zwanzig neue Kärtchen für meine Vernetzungen ein. Das Kriterium war streng, und ich glaube, es ist dasselbe, das auch die Geheimdienste anwenden: Keine Information ist weniger wert als die andere, das Geheimnis besteht darin, sie alle zu sammeln und dann Zusammenhänge zwischen ihnen zu suchen. Zusammenhänge gibt es immer, man muß sie nur finden wollen.
    Nach etwa zwei Jahren Arbeit war ich mit mir zufrieden. Ich amüsierte mich. Und inzwischen war ich Lia begegnet.

35
    Sappia qualunque il mio nome dimanda ch’i’ mi son Lia, e vo movendo intorno le belle mani a farmi una ghirlanda.
    (Ein jeder, der mich fragt nach meinem Namen, / Soll wissen, dass ich Lea bin und gehe, / Mit schönen Händen einen Kranz zu flechten (deutsch von Hermann Gmelin)).
    Dante, Purgatorio, XXVII, 100-102
     
    Lia. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, sie wiederzusehen, aber ich hätte ihr auch nie begegnet sein können, und das wäre noch schlimmer gewesen. Ich wünschte, sie wäre jetzt hier und hielte mich an der Hand, während ich die Etappen meines Ruins rekonstruiere. Denn sie hatte es mir gesagt. Aber sie muß

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