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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Legierungen für Raumschiffe. Wir brauchen jemanden, der sich in den Bibliotheken und Archiven nach guten Illustrationen umsieht — nach alten Miniaturen und barocken Stichen über, was weiß ich, Schmelzverfahren oder den Blitzableiter.«
    »Na gut ich komme morgen bei Ihnen vorbei.«
    In diesem Augenblick trat Lorenza Pellegrini zu ihm.
    »Bringst du mich nach Hause?«
    »Wieso ich heute?« fragte Belbo.
    »Weil du der Mann meines Lebens bist.«
    Er errötete, wie nur er erröten konnte, und schaute noch mehr woandershin. »Wir haben einen Zeugen«, sagte er zu ihr, und zu mir: »Ich bin der Mann ihres Lebens. Lorenza.«
    »Hallo.«
    »Hallo.«
    Er stand auf und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    »Was hat das damit zu tun?« sagte sie. »Ich hab dich gefragt, ob du mich im Wagen nach Hause fährst«
    »Ach so«, sagte er. »'Tschuldigen Sie, Casaubon, ich muß den Taxifahrer spielen, für die Frau des Lebens von wer weiß wem.«
    »Blödmann«, sagte sie zärtlich und küsste ihn auf die Wange.

36
    Erlaubt mir einstweilen, meinem gegenwärtigen oder künftigen Leser einen Rat zu geben, so er tatsächlich Melancholiker ist: er sollte die Symptome oder Prognosen im folgenden Teil lieber nicht lesen, damit er sich nicht beunruhigt und am Ende mehr Schaden als Nutzen daraus zieht, indem er das Gelesene auf sich selber bezieht, wie es die meisten Melancholiker tun.
    Robert Burton, Anatomy of Melancholy, Oxford 1621, Einführung
     
    Es lag auf der Hand, dass Belbo irgendwie mit Lorenza Pellegrini liiert war. Ich wusste nur nicht, wie intensiv und seit wann. Auch die files von Abulafia haben mir nicht viel weitergeholfen.
    So ist beispielsweise der Text über das Abendessen mit Doktor Wagner undatiert. Den Doktor Wagner hatte Belbo schon vor meiner Abreise nach Brasilien gekannt und er sollte mit ihm auch nach dem Beginn meiner Arbeit für Garamond noch in Verbindung stehen, so dass am Ende auch ich mit ihm in Berührung kam. Folglich konnte das fatale Essen vor oder nach jenem Abend gewesen sein, an den ich mich erinnere. Wenn es vorher gewesen war, begreife ich Belbos Verlegenheit, seine gefasste Verzweiflung.
    Der Doktor Wagner — ein Wiener, der seit Jahren in Paris praktizierte, daher die Aussprache » Wagnère« bei denen, die Vertrautheit mit ihm bekunden wollten — wurde seit etwa zehn Jahren regelmäßig von zwei revolutionären Gruppen der unmittelbaren Nachachtundsechzigerzeit nach Mailand eingeladen. Sie machten ihn sich gegenseitig streitig, und natürlich gab jede Gruppe eine radikal andere Version seines Denkens. Wieso und warum es dieser berühmte Mann akzeptiert hatte, sich von außerparlamentarischen Gruppen sponsern zu lassen, habe ich nie ganz kapiert. Seine Theorien waren politisch neutral, und wenn er wollte, konnte er sich von Universitäten, Kliniken, Akademien einladen lassen. Ich glaube, er hatte die Einladungen von diesen Gruppen angenommen, weil er im Kern ein Epikureer war und Anspruch auf fürstliche Aufwandsentschädigungen erhob. Die Privaten konnten mehr aufbringen als die akademischen Institutionen, und für den Doktor Wagner hieß das Reisen erster Klasse und Luxushotels, plus Honorare für Vorträge und Seminare, berechnet nach seinem Therapeutentarif.
    Wieso dann die beiden Gruppen eine ideologische Inspirationsquelle in Wagners Theorien fanden, war eine andere Geschichte. Aber in jenen Jahren erschien die Wagnersche Psychoanalyse hinreichend dekonstruktiv, diagonal, libidinal und nicht-cartesianisch, um der revolutionären Arbeit theoretische Anstöße bieten zu können.
    Als schwierig erwies sich freilich, sie den Arbeitern zu vermitteln, und vielleicht waren die beiden Gruppen deswegen an einem bestimmten Punkt gezwungen gewesen, sich zwischen den Arbeitern und Wagner zu entscheiden, und hatten sich für Wagner entschieden. So wurde die Idee entwickelt, das neue revolutionäre Subjekt sei nicht das Proletariat, sondern der Deviante.
    »Statt die Proletarier deviieren zu lassen, lieber die Devianten proletarisieren«, sagte Belbo eines Tages zu mir. »Ist auch billiger, bei Doktor Wagners Preisen.«
    Tatsächlich war die Revolution der Wagnerianer wohl die teuerste in der Geschichte.
    Der Verlag Garamond hatte, finanziert von einem Psychologischen Institut, eine Sammlung kleinerer Schriften Wagners übersetzen lassen, sehr fachspezifische Texte, aber inzwischen nirgends mehr aufzutreiben und darum sehr gefragt bei den Jüngern. Wagner war nach Mailand zur Präsentation des Bandes

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