Das Fräulein von Scuderi
ihm nieder, vielleicht, denk' ich, ist er noch zu retten, aber keine Spur des Lebens ist mehr in ihm. In meiner Todesangst gewahre ich kaum, daß mich die Marechaussee umringt hat. Schon wieder einer von den Teufeln niedergestreckt – he, he –
53
junger Mensch, was machst du da – bist einer von der Bande? – fort mit dir! So schrien sie durcheinander und packen mich an. Kaum vermag ich zu stammeln, daß ich solche gräßliche Untat ja gar nicht hätte begehen können, und daß sie mich in Frieden ziehen lassen möchten. Da leuchtet mir einer ins Gesicht und ruft lachend: Das ist Olivier Brußon, der Goldschmiedsgeselle, der bei unserm ehrlichen, braven Meister René Cardillac arbeitet! – ja –
der wird die Leute auf der Straße morden! – sieht mir recht danach aus – ist recht nach der Art der Mordbuben, daß sie beim Leichnam lamentieren und sich fangen lassen werden. – Wie war's Junge? – erzähle dreist. Dicht vor mir, sprach ich, sprang ein Mensch auf den dort los, stieß ihn nieder und rannte blitzschnell davon, als ich laut aufschrie.
Ich wollt' doch sehen, ob der Niedergeworfene noch zu retten wäre. Nein, mein Sohn, ruft einer von denen, die den Leichnam aufgehoben, der ist hin, durchs Herz, wie ge-wöhnlich, geht der Dolchstich. Teufel, spricht ein anderer, kamen wir doch wieder zu spät wie vorgestern; damit ent-fernen sie sich mit dem Leichnam.
Wie mir zumute war, kann ich gar nicht sagen; ich fühlte mich an, ob nicht ein böser Traum mich necke, es war mir, als müßt' ich nun gleich erwachen und mich wundern über das tolle Trugbild. – Cardillac – der Vater meiner Madelon, ein verruchter Mörder! – Ich war kraftlos auf die steinernen Stufen eines Hauses gesunken. Immer mehr und mehr
dämmerte der Morgen herauf, ein Offiziershut, reich mit Federn geschmückt, lag vor mir auf dem Pflaster. Cardillacs blutige Tat, auf der Stelle begangen, wo ich saß, ging vor mir hell auf. Entsetzt rannte ich von dannen.
Ganz verwirrt, beinahe besinnungslos sitze ich in meiner Dachkammer, da geht die Tür auf und René Cardillac tritt herein. Um Christus willen! was wollt Ihr? schrie ich ihm entgegen. Er, das gar nicht achtend, kommt auf mich zu 54
und lächelt mich an mit einer Ruhe und Leutseligkeit, die meinen innern Abscheu vermehrt. Er rückt einen alten, gebrechlichen Schemel heran und setzt sich zu mir, der ich nicht vermag, mich von dem Strohlager zu erheben, auf das ich mich geworfen. Nun Olivier, fängt er an, wie geht es dir, armer Junge? Ich habe mich in der Tat garstig übereilt, als ich dich aus dem Hause stieß, du fehlst mir an allen Ecken und Enden. Eben jetzt habe ich ein Werk vor, das ich ohne deine Hilfe gar nicht vollenden kann. Wie wär's, wenn du wieder in meiner Werkstatt arbeitetest? –
Du schweigst? – Ja ich weiß, ich habe dich beleidigt. Nicht verhehlen wollt' ich's dir, daß ich auf dich zornig war, wegen der Liebelei mit meiner Madelon. Doch recht überlegt habe ich mir das Ding nachher und gefunden, daß bei deiner Geschicklichkeit, deinem Fleiß, deiner Treue ich mir keinen bessern Eidam wünschen kann als eben dich.
Komm also mit mir und siehe zu, wie du Madelon zur Frau gewinnen magst.
Cardillacs Worte durchschnitten mir das Herz, ich erbebte vor seiner Bosheit, ich konnte kein Wort hervorbringen. Du zauderst, fuhr er nun fort mit scharfem Ton, indem seine funkelnden Augen mich durchbohrten, du zauderst? – du kannst vielleicht heute noch nicht mit mir kommen, du hast andere Dinge vor! – du willst vielleicht Desgrais besuchen oder dich gar einführen lassen bei d'Argenson oder la Regnie. Nimm dich in acht, Bursche, daß die Krallen, die du hervorlocken willst zu anderer Leute Verderben, dich nicht selbst fassen und zerreißen. Da macht sich mein tief em-pörtes Gemüt plötzlich Luft. Mögen die, rufe ich, mögen die, die sich gräßlicher Untat bewußt sind, jene Namen fühlen, die Ihr eben nanntet, ich darf das nicht – ich habe nichts mit ihnen zu schaffen. Eigentlich, spricht Cardillac weiter, eigentlich, Olivier, macht es dir Ehre, wenn du bei mir arbeitest, bei mir, dem berühmten Meister seiner Zeit, 55
überall hochgeachtet wegen seiner Treue und Rechtschaffenheit, so daß jede böse Verleumdung schwer zurückfal-len würde auf das Haupt des Verleumders. – Was nun Madelon betrifft, so muß ich dir nur gestehen, daß du meine Nachgiebigkeit ihr allein verdankest. Sie liebt dich mit einer Heftigkeit, die ich dem zarten Kinde gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher