Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
er letzten Endes Griechenland erreicht. Er war hier, nach all den Strapazen, endlich am Ziel.
Wenn er Byrons Herz in seinem Besitz hatte, musste Night mit ihm verhandeln. Und seine Bedingungen standen fest: das Herz gegen die Operation. Dann bekäme er nach 30 Jahren endlich einen neuen, einen sichtbaren Körper.
Rains schwitzte vor Aufregung und Hitze. Mit seinem letzten Geld hatten sie sich einen Dolmetscher geleistet, der sie auf dem Rücken eines alten, ausgezehrten Maulesels zu diesem abgelegenen Friedhof begleitet hatte. Ein alter, graubärtiger Priester in fadenscheinigen Gewändern stand auf dem staubigen Pfad zur Kirche und rauchte eine selbst gedrehte Zigarette, als sie die drei Maultiere anbanden.
»Na los! Fragen Sie ihn, wo sich das Grab von Byrons Herz befindet«, sagte Rains matt und stupste den Dolmetscher mit dem behandschuhten Zeigefinger an. Seine Stimme klang durch die schmuddeligen Mullbandagen hindurch, als kaue er auf einem Paar Wollsocken herum. »Ich möchte es sehen. Sofort.«
»Wie Sie wollen.« Der Dolmetscher verbeugte sich. Dann wandte er sich an den Geistlichen und wechselte ein paar Worte auf Griechisch mit ihm.
Mit unbewegtem Gesicht schnippte der Priester seine Zigarette in den Staub, zog geräuschvoll die Nase hoch und spie aus. Dann stieß er einen schrecklich lauten Lacher aus, was sicher kein gutes Zeichen war, und ging kopfschüttelnd und leise vor sich hinglucksend davon.
»Was hat er gesagt?«, fragte Rains.
»Er sagt, es gibt kein Herz«, erklärte der Dolmetscher, der selbst mit einem aufkommenden Lachanfall kämpfte. »Es sei immer dasselbe, hat er gesagt. Jedes Jahr kämen Hunderte Touristen, die das Grab von Byrons Herz zu sehen wünschten. Aber es existiert nicht. Es ist alles bloß ein Gerücht. Byron liegt in England begraben. Wenn Sie sein Herz sehen wollen, müssen Sie schon dorthin fahren.«
Die Maulesel schlugen nervös mit ihren Schwänzen und traten unruhig auf der Stelle. Die trockenen, mit beißendem Staub bedeckten Nüstern der Tiere blähten sich schnaubend.
»Wir sollten umkehren, Monsieur«, meinte Renfield, um das letzte bisschen Würde bemüht. Er war der Einzige von ihnen, der den Hinweg auf dem grauen, fliegenumsurrten Maultier zumindest halbwegs genossen hatte. »Überhaupt kein Grund zu verzagen, Monsieur. Wirklich nicht.«
Rains nickte wortlos und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Doch das obere Augenlid seines linken Auges zuckte nervös unter den Bandagen.
Wieder nichts. Mal wieder nichts . Nicht mal das böse französische Wort für Sch… Scheibenhonig kam ihm über die Lippen. Rains hatte im Laufe der Jahre schon so viele Niederlagen einstecken müssen, dass sich jetzt kaum noch etwas in ihm gegen diese unabänderliche Wahrheit auflehnte. Dies war nur eine weitere kleine Niederlage in der großen, alles entscheidenden Schlacht. Er würde schon noch bekommen, was er so verzweifelt suchte.
Eines Tages …
Donaukurier, Ingolstadt, Deutschland, drei Wochen später:
FRAU ERMORDET AUFGEFUNDEN
Ingolstadt – Gestern Nachmittag entdeckten Polizeibeamte in einem Haus in Ingolstadt die Leiche einer Frau. Wie es aus Ermittlerkreisen hieß, handelt es sich dabei sehr wahrscheinlich um die bereits seit Ende Juli vermisste pensionierte Gymnasiallehrerin Margret B. (65). Die Polizei geht von einem Tötungsdelikt aus. Mehr wollten die Beamten aus ermittlungstaktischen Gründen zur Stunde nicht sagen. Wo sich Margret B. in der Zeit zwischen ihrem Verschwinden und ihrem gewaltsamen Tod aufgehalten hat, konnte bislang nicht geklärt werden. Von ihrem ebenfalls vermissten Neffen, Adrian B. (14), fehlt nach wie vor jede Spur.
Artikel im Edinburgh Herald, Edinburgh, Schottland, vom selben Tag:
VERMISCHTES
Edinburgh – Das Ozonloch hat sich, neuen Messungen zufolge, nahezu geschlossen. Wie Dr. Forbes Wainwright von der Edinburgh University bestätigte, sei davon auszugehen, dass sich die Ozonschicht über dem Südpol bis Ende 2012 weitestgehend regeneriert haben wird.
Schlussbemerkung
Dieser Roman basiert lose auf Tatsachen.
So hat es Lord George Gordon Noel Byron, den 6. Baron of Rochdale, wirklich gegeben. 1788 in London geboren, wird er als spätromantischer Dichter bereits im Alter von 24 Jahren mit seinen ersten Veröffentlichungen weltberühmt. Zeitzeugen zufolge ist er wunderschön, hat zahlreiche Liebschaften und ist schließlich wegen eines Skandals gezwungen, England zu verlassen. Im Mai 1816 bezieht Byron gemeinsam
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