Das fremde Haus
mit jedem Herzschlag mehr.
Kit steht auf und starrt mich an. »Sag etwas«, befiehlt er.
Ich sollte es mir nicht erlauben zu hoffen, aber die Hoffnung ist da, ob mit Erlaubnis oder ohne. Er hat mir den Mund zugeklebt und dann das Klebeband wieder aufgeschnitten. Das ist eine eindeutige Wende, die mir den Glauben ermöglicht, dass er vielleicht aus seinen Entschluss, mich zu töten, umkehren wird. »Was wollte Jackie mir antun?«, frage ich. »Wollte sie, dass du mich ebenfalls umbringst?«
»Nein. Das hätte sie selbst erledigt. Sie wusste, ich wäre nie dazu in der Lage gewesen.«
Ich wäre nie dazu in der Lage gewesen. Ich wäre nie dazu in der Lage gewesen. Ich klammere mich an diesen Worten fest.
»Aber vorher musste noch eine ganze Menge passieren«, sagt Kit. »Sie musste erst alles so arrangieren, dass dir die Schuld an den …« Er wirft einen Blick zum Bett hinüber. »An den anderen, du weißt schon«, beendet er seinen Satz. »Ich weiß ja nicht, wie sie es geschafft hat, so klar zu denken, aber sie konnte es. Willst du es sehen?«
»Sehen?«, wiederhole ich verständnislos.
Kit lächelt, und für einen kurzen Moment bin ich wieder in unserem alten gemeinsamen Leben, unserem normalen Leben. Ich habe dieses Lächeln schon so oft gesehen, immer wenn Kit einen Witz macht, der ihm gefällt, oder wenn ich etwas sage, was ihn beeindruckt. »Ich kann es beweisen«, sagt er. Das Lächeln ist verschwunden. Seine Stimme ist hart.
»Zeig mir den Beweis«, sage ich.
Kit nickt und kehrt mir den Rücken zu. Ich höre, wie er die Treppe hinunterläuft. Als er zurückkommt, hält er ein zerfleddertes weißes Blatt Papier in der Hand, das mit spinnwebartigen Schriftzügen bedeckt ist. Jackies Handschrift . Kit hält es mir vors Gesicht. Ich lese es drei- oder viermal. Eigentlich sollte ich es nicht verstehen. Ich versuche, so zu tun, als verstünde ich nicht, aber ohne Erfolg. Ich weiß sofort, was Jackie gemeint hat, als sie diese Worte schrieb.
Ich komme mir besudelt vor, klaustrophobisch, als wäre ich in ihrem verdrehten Hirn gefangen, unfähig, dem vergifteten Strudel ihrer Gedanken zu entkommen. Mir bleibt nichts anderes übrig als zuzugeben, dass es Wirklichkeit ist. Ich habe den Beweis vor Augen. Trotzdem kann ich es nicht glauben. Bis vor vier Tagen hatte ich keine Ahnung, dass Jackie Napier überhaupt existierte.
Ich bin froh, dass sie tot ist.
»Nichts davon war meine Idee«, sagt Kit.
»Du hast die Gilpatricks umgebracht.«
Er wendet den Kopf ab, als hätte ich versucht, ihn zu schlagen. »Das war doch keine Idee. Es war nicht geplant, es … Jackie hat alles geplant, nicht ich.« Er lässt das Papier los. Es segelt zu Boden. »Sie schien alles vorhersehen zu können, während ich nicht mal den nächsten Schritt erkennen konnte.«
Hat sie auch vorhergesehen, dass du sie erwürgen würdest?
»Sie hat gewusst, dass du es nicht schaffen würdest, dich von Cambridge fernzuhalten, nachdem du die Adresse im Navi gefunden hattest«, fährt Kit fort. »Ich habe ihr nicht geglaubt – ich dachte, du würdest auf keinen Fall so weit fahren, nur um mich vielleicht auf frischer Tat zu ertappen. Jackie lachte, als sie das hörte. Nannte mich einen naiven Idioten. Sie würde es mir beweisen, kündigte sie an. Sie nahm sich zwei Wochen frei und beobachtete den Bentley Grove. Sobald die Gilpatricks morgens das Haus verlassen hatten, ist sie rein, um auf dich zu warten. Sie wusste, wie du aussiehst – sie muss Stunden damit zugebracht haben, dein Foto auf unserer Firmen-Website anzustarren. Sie hat dich beneidet wie verrückt.«
Mich beneidet. Klar, wer würde nicht gern mit einem geistesgestörten Mörder verheiratet sein?
»Sie hat dich gesehen, an zwei Freitagen hintereinander. Da war es uns klar – sogar ich konnte es mir denken. Wenn du hinfahren würdest, dann nur am Freitag. Montags und mittwochs war ich gelegentlich in Little Holling, dienstags und donnerstags warst du bei Monk & Söhne. Freitag war dein freier Tag, und ich war freitags immer in London.«
Ich nicke und versuche das kranke Gefühl zu ignorieren, das sich in mir ausbreitet. Wie soll ich darauf reagieren, was erwartet Kit?
»Manchmal ist Jackie dir gefolgt«, sagt er. »Zum Krankenhaus oder in die Stadt. Tu das nicht, das Risiko ist zu groß, habe ich zu ihr gesagt – ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du sie bemerken und damit konfrontieren könntest. Ich wollte nicht, dass sie dir etwas verrät, aber sie hat mich
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