Das Fremde Mädchen
Dankbarkeit, die von Liebe nicht sehr weit entfernt war. Ein großes Geschenk, auch wenn sie sich nie wiedersehen würden.
»Gott sei mit Euch, Vater!« sagte Helisende.
Es war das erste und zugleich das letzte Mal, daß sie ihm diesen Titel nicht als Priester sondern als Mann gab. Es war ein Geschenk, von dem er sein Leben lang zehren würde.
Sie machten über Nacht in Hargedon Halt, wo die Stiftskirche von Hampton einen Bauernhof unterhielt, mitten in einem Land, das sich nur langsam von den Zerstörungen nach der normannischen Besiedlung erholte. Erst jetzt, nach sechzig Jahren, wurde Ackerland aus dem Unterholz zurückgewonnen, und hier und dort, wo Wege sich kreuzten oder Flüsse das Wasser für eine Mühle lieferten, entstanden Dörfer. Die Sicherheit, die Kirchenleute, Aufseher und Diener boten, hatte andere angezogen, die sich in der Nähe niederließen, und tatendurstige Zweitgeborene errichteten neue Häuser aus dem Holz der vernachlässigten Wälder. Immer noch war es ein dünn besiedeltes Land, eben, einsam und im Abendlicht melancholisch. Doch mit jedem mühsamen Schritt, der sie auf dieser traurigen Ebene weiter nach Westen brachte, wurde Bruder Haluin heiterer, sein Schritt wurde leichter, und sein Gesicht bekam Farbe.
Jetzt blickte er aus dem schmalen, offenen Fenster der Scheune nach Westen in die sternenklare Nacht hinaus. Näher an Shrewsbury, wo die Hügel in Richtung Wales allmählich höher wurden, waren Erde und Himmel ausgeglichen und in Harmonie. Hier aber wirkte der Himmel gewaltig, die Erde der Menschen dagegen bedrückend und düster. Das Strahlen der Sterne und die Schwärze des Raumes dazwischen sprachen für eine Spur Frost in der Luft, aber der nächste Tag würde ein schöner Tag zum Wandern werden.
»Hattet Ihr nie den Wunsch«, fragte Cadfael leise, »Euch über die Schulter umzusehen?«
»Nein«, sagte Haluin schläfrig. »Das ist nicht nötig. Hinter mir ist alles gut. Alles ist in Ordnung. Dort gibt es nichts mehr für mich zu tun, und ich bin gebunden. Wir sind jetzt Schwester und Bruder. Wir erbitten nicht mehr, wir wollen nicht mehr. Jetzt kann ich mich mit ganzem Herzen Gott zuwenden. Ich bin unendlich froh, daß er mich hinunterstieß, damit ich mich erheben und ihm mit neuer Kraft dienen konnte.«
Es gab ein langes, behagliches Schweigen, während er mit einer Art freudigem Hunger im Gesicht in die klare Nacht hinaussah. »Ich habe ein Blatt halb beendet zurückgelassen, als wir nach Hales aufbrachen«, sagte er nachdenklich. »Ich wollte schon lange zurück sein, um es zu vollenden. Hoffentlich hat Anselm es nicht jemand anders gegeben. Es war das große ›N‹ für ›Nunc Dimittis‹, dem noch die Hälfte der Farben fehlte.«
»Es wird auf Euch warten«, beruhigte Cadfael ihn. »Aelfric ist gut, aber er weiß nicht, was ich vorhatte, er könnte es mit dem Gold übertreiben.« Seine Stimme war weich und praktisch und jung.
»Macht Euch keine Sorgen«, sagte Cadfael. »Übt Euch noch drei Tage in Geduld, dann werdet Ihr wieder Pinsel und Feder in der Hand halten und Euch an die Arbeit machen. Und ich muß mich um meine Kräuter kümmern, denn die Arzneischränke dürften inzwischen fast geleert sein. Legt Euch nieder, Junge, und ruht Euch aus. Morgen warten noch einige Meilen auf Euch.«
Ein sanfter Wind aus Westen fuhr durchs offene Fenster herein. Haluin hob den Kopf und schnüffelte in der Luft, wie ein edles Pferd in seinem Stall schnüffelt.
»Es ist gut«, meinte er, »wieder nach Hause zu kommen!«
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