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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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willkürlich dem einen oder dem anderen den Siegespokal angeboten, nur um ihn vor dem Zugriff wieder fortzureißen und dem ebenso gequälten Gegner anzubieten. Nun, unter dem weißen Kleid des Winters wurde abermals alles auf den Kopf gestellt, denn wie durch ein Wunder wurde die Kaiserin aus dem gepanzerten Handschuh des Königs gerissen, just als dieser ein für allemal die Faust um die Gefangene schließen und den Krieg triumphierend beenden wollte. So war die Lage wieder wie damals zu Beginn des fünfjährigen Kampfes, und alles begann von vorne. Da dies jedoch in Oxford geschehen war, weit jenseits des undurchdringlichen Schnees, sollte einige Zeit verstreichen, ehe die Nachrichten Shrewsbury erreichten.
    Was sich in der Abtei von St. Peter und St. Paul zutrug, war, damit verglichen, auf den ersten Blick nichts weiter als eine kleine Unannehmlichkeit. Ein Gesandter des Bischofs, in einer der oberen Kammern des Gästehauses einquartiert und ohnehin schon gereizt und verstimmt, weil er hier festsaß, solange die Straßen unpassierbar waren, erwachte zu seinem Mißvergnügen mitten in der Nacht, als eine Ladung eiskalten Wassers über seinen Kopf stürzte. Mit mächtiger Stimme sorgte er dafür, daß jeder in Hörweite sofort davon erfuhr. Bruder Denis, der für die Gäste verantwortlich war, beeilte sich, ihn zu beruhigen, und gab ihm in einer anderen Kammer ein trockenes Bett. Aber kaum eine Stunde nach dem Guß begann eine undichte Stelle im Dach zu tropfen, der sich bald in einem Umkreis von ein paar Metern ein Dutzend weitere hinzugesellten. Die große Schneelast auf dem südwärts gewandten Dach des Gästehauses hatte sich einen Weg durch das Blei gebahnt, war zwischen die Dachziegel vorgedrungen und hatte vielleicht sogar einige von ihnen eingedrückt. Der vorstoßende Schnee hatte die Wärme im Innern des Hauses gespürt und mit der stummen Bosheit unbelebter Dinge beschlossen, den bischöflichen Gesandten zu taufen.
    Am Morgen wurde im Kapitel eine Dringlichkeitssitzung einberufen, um zu beraten, was man tun sollte und konnte. Bei diesem Wetter sollte man tunlichst die gefährliche und unangenehme Arbeit auf dem Dach vermeiden, doch andererseits mußten sie, wenn sie die Reparatur aufschoben, bei Tauwetter mit einer Flut rechnen, und der bisher noch begrenzte Schaden würde sich erheblich verschlimmern.
    Einige Brüder hatten bereits beim Bau von Nebengebäuden in der Enklave, von Scheunen und Ställen und Lagerhäusern, mitgewirkt. Bruder Conradin, über fünfzig Jahre alt, aber stark wie ein Stier, war als einer der ersten kindlichen Oblaten ins Kloster gekommen und hatte noch als Knabe unter den Mönchen von Seez gearbeitet, die der großzügige Earl herübergebracht hatte, damit sie den Bau der Abtei überwachen konnten. Wenn es um die Bausubstanz ging, hörte man auf Bruder Conradins Worte, und nachdem er sich das Leck im Dach des Gästehauses angesehen hatte, erklärte er, daß sie sich eine Verzögerung nicht erlauben konnten, wenn sie nicht später die ganze südliche Hälfte des Dachs erneuern wollten. Sie hatten Holz, sie hatten Schieferplatten, sie hatten Blei. Das Süddach ragte über den Abflußkanal hinaus, der zum Mühlbach führte. Der Wasserlauf war überfroren, es wäre also kein Problem, ein Gerüst zu errichten. Natürlich war es bitterkalt, wenn man dort oben arbeitete. Zuerst mußten sie die Schneegebirge abräumen, um das drückende Gewicht vom Dach zu nehmen, dann mußten sie die zerbrochenen oder verschobenen Schieferplatten ersetzen und die Kehlbleche mit Blei reparieren. Doch wenn sie sich oft ablösten und, solange die Arbeit dauerte, im Wärmeraum ein Feuer unterhalten durften, war es zu schaffen.
    Abt Radulfus, verständig und schnell entschlossen wie immer, nickte mit seinem beeindruckenden Haupt und sagte:
    »Nun gut, dann tut es!
    Sobald die ausgedehnten Schneefälle nachließen und der Himmel sich hob, drangen die zähen Bewohner der Vorstadt aus ihren Häusern, dick eingepackt und bewaffnet mit Schaufeln, Besen und Rechen mit langen Griffen; sie begannen, den Weg zur Hauptstraße freizuräumen und einen Durchgang bis zur Brücke und zur Stadt zu bahnen, deren ebenso kräftige Bewohner sicherlich schon von ihrer Seite aus den winterlichen Feind angingen. Der Frost hielt sich noch, doch jeder Tag nagte ein Stück mehr aus den Schneewehen und verringerte unmerklich deren Last. Als einige Hauptstraßen wieder gangbar waren und ein paar Reisende, die entweder tollkühn waren

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