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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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wissen von den Enden.
    Wir sitzen noch eine Weile im Park und schauen uns die Hunde an und die Spaziergänger, aber wir sprechen nicht mehr, wir sind ganz still.
    Als wir wieder vor deinem Zimmer stehen und ich die Tür öffnen will, hält Philip mich zurück.
    »Dann musst du erzählen«, sagt er.
    »Aber was?«, frage ich.
    Er zuckt die Achseln.
    »Erzähl, wie es gewesen ist. Wie es sein könnte. Wie es hätte sein können. Dir fällt schon etwas ein. Und schreib es auf.« Er legt den Kopf schief, wie jemand, der ein Gespräch mit sich selbst führt, dann nickt er kurz und bestätigend. »Schreib es auf, ja, ich denke, das könnte euch guttun.«
    Bevor ich widersprechen kann, dreht er sich um und verschwindet im Gang.
    *
    Der November bringt die Kälte, vor der ich mich schon im Oktober gefürchtet habe. Trotzdem holt Philip mich jeden Tag in deinem Zimmer ab. Er kommt in seinen Pausen vorbei oder nach Feierabend. Dann bleibt er in der Tür stehen und hält sie so lange auf, bis ich mich schwerfällig erhebe.
    Im Gang läuft er schnellen Schrittes voraus, und wenn ich ihn nicht verlieren will, muss ich mich beeilen, um hinterherzukommen. Dabei wartet dort draußen nichts auf uns, wir gehören nicht zu den Rauchern, die in der Kälte, im Regen hektisch an ihren Zigaretten ziehen und frösteln. Wir stehen bloß verloren auf dem Parkplatz, schauen in den Wald und betrachten die Autos derjenigen, die gekommen sind, um Blumen und Bücher zu bringen, um an Betten zu sitzen, um einen langsamen Spaziergang durch den Park zu wagen. Und abends wieder zu fahren.
    Hier ist niemand zu Hause.
    Durch die Straßen ziehen Kinder mit Laternen. Ich beobachte sie durch mein Fenster und finde den leuchtenden Umzug mit seinen kleinen verloren wirkenden Lichtern unheimlich und schön.
    Meine Mutter schickt mir einen Adventskalender, aber ich vergesse immer, die Päckchen zu öffnen, Tage verstreichen, und noch immer liegen alle vierundzwanzig Geschenke unausgepackt auf der Anrichte.
    Ende Dezember reist Effie ab. Ende Dezember reist endlich Effie ab. Seit Wochen habe ich auf diesen Tag gewartet.
    Als ich sie zum Bahnhof bringe, weine ich.
    »Ich komme nach Weihnachten wieder«, sagt Effie bei der Verabschiedung.
    Als würde sich im neuen Jahr irgendetwas ändern.
    *
    Ich bin nicht zum Yoga gegangen, und ich habe nicht angefangen zu meditieren. Ich trinke selten grünen Tee, weil ich mir einbilde, Magenschmerzen davon zu bekommen. Aber ich glaube, dass es ein Fehler ist, keinen einzigen Rat Philips zu befolgen. Darum halte ich mich an den einen, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht.
    Ich setze mich neben dein Bett.
    Ich räuspere mich.
    Ich versuche mich an einem »Es war einmal« und an einem »Stell dir vor, dass –«. Beides kommt mir albern vor.
    Als ich zu einem dritten Versuch ansetze, öffnet sich die Tür, und ein Pfleger, den ich nicht kenne, betritt den Raum. Solange er neben deinem Bett steht, spiele ich mit den Bändeln meines Kapuzenpullovers wie eine Ertappte. Auch als er das Zimmer verlassen hat, versuche ich es nicht ein weiteres Mal. Ich komme mir lächerlich vor, wie eine Verzweifelte, die man mit einem Liebestrank oder Ouija-Brett nach Hause geschickt hat.
    *
    Es regnet seit gut dreißig Stunden, die ganze Nacht hindurch hat es geregnet. Ob ich so etwas schon einmal erlebt habe, weiß ich nicht. Nachts hat der Regen auf die Dachfenster eingetrommelt, und heute Morgen hat er mich auf dem Weg zum Krakenhaus durchnässt. Und noch immer regnet es. So sehr, dass Philip und ich nicht in den Park und nicht auf den Parkplatz gehen können. Wir stehen vor dem Eingang zum Krakenhaus und schauen in den unermüdlichen Regen.
    »Stell dir vor«, sage ich zu Philip, »dass es für immer regnet. Dass es nie mehr aufhört. Früher oder später wäre alles geflutet, dann würde die Menschheit aussterben oder wir müssten uns ganz neue Lösungen überlegen, vielleicht müssten wir in die Berge ziehen oder auf den Dächern von Hochhäusern wohnen. Aber bald würde auch das nichts mehr helfen, und wir müssten lernen, unter Wasser zu leben, vielleicht in riesigen Glaskugeln, in die man Sauerstoff einlassen würde. Das Leben wäre jedenfalls nicht mehr so, wie wir es kennen.«
    Ich kaue auf meiner Unterlippe. Eigentlich sollte ich Philip nicht von Unterwasserwelten und Hochhausinseln erzählen, sondern davon, dass ich über seine Worte nachgedacht habe. Und dass ich glaube, dass er recht hat, dass ich erzählen sollte und erzählen werde.

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