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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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sei das Liebste an dir deine Leichtigkeit gewesen; es war das Gegenteil. Wir kannten und sahen dieselbe Welt. Sie war voller Risse und Falltüren und Unsicherheiten und Abgründe. Und du, du wusstest um den Schatten, den dunklen Fleck am Rand des Blickfelds, immer da, immer kurz vorm Sprung, die Sorge, die Angst vor Wendungen und unerwarteten Verlusten, die Angst, die Dinge seien nicht, was sie zu sein schienen, sondern bereits am Kippen, im Begriff, zu zerfallen, zu verschwinden oder: etwas anderes zu werden. Du fürchtetest dich nicht nur vor den nächtlichen Eindringlingen, sondern überhaupt vor Eindringlingen, vor Einbrüchen. Es nahm dir den Schlaf, zu denken, zu glauben, zu fürchten, etwas könne sich durch die Nacht in unsere Zimmer, in unsere Leben schleichen; zu denken, du seist nicht wachsam genug.
    Und genau wie du witterte auch ich überall Gefahren, vermutete auch ich überall Katastrophen. Nur die eine, die tatsächlich eintrat, die habe ich nicht kommen sehen.
    Die Geschichte des Unfalls
    Vor Jahren hast du dein altes Fahrrad auf einem Trödelmarkt gekauft, und seitdem ich dich kenne, ist immer etwas daran kaputt. Hinter- und Vorderreifen sind im Wechsel platt, der Dynamo funktioniert nicht, die Bremse, die Gangschaltung. Als im November die Kette reißt, beschließt du, es zu verschrotten.
    Den Winter über fährst du mit der Straßenbahn, aber du fühlst dich unwohl unter so vielen Menschen. Und weil man mit dem Fahrrad einen Großteil des Weges bis zur Kunsthochschule durch den Park fahren kann, kaufst du dir im Frühling ein neues. Es ist himmelbau, ein paar Nuancen heller als deine Turnschuhe, und wir suchen es gemeinsam aus.
    Mit dem neuen Rad fährst du zu jeder Gelegenheit durch den Park, und wenn es keine gibt, denkst du dir eine aus. Erfindest fadenscheinige Gründe, warum man nicht im Supermarkt um die Ecke, sondern in dem am anderen Ende der Stadt einkaufen sollte. Wenn du zurückkommst, gibt es immer etwas zu erzählen, du weißt zu berichten von der Farbe der Blätter, von den Eichhörnchen, von dem zugefrorenen See, von den Schneewehen, vom Schneeschmelzen, vom ersten Grünen. Einmal behauptest du, einen Wolf gesehen zu haben.
    »Ist wohl eher ein Fuchs gewesen«, sage ich, denn Füchse sieht man öfter in dieser Gegend, Wölfe aber nicht.
    »Nein, nein, nein, es ist ein Wolf gewesen«, sagst du. Dein Gesicht ist gerötet, du fuchtelst in der Luft herum.
    Also zucke ich die Achseln. »Meinetwegen«, sage ich. »Dann eben ein Wolf.«
    *
    Ich weiß nicht, was ich zum Abschied gesagt habe. Nur dass es nichts Besonderes gewesen sein kann. Vielleicht »Bis später«, vielleicht: »Beeil dich.«
    Ich bin sicher, dass ich nicht »Ich liebe dich« gesagt habe, denn diese Worte handhabe ich sparsam, sage sie nie zum Abschied oder beiläufig.
    Den genauen Ablauf kenne ich nicht, ich bin nicht dabei gewesen, kann es mir nur vorstellen und stelle es mir vor, immer wieder spiele ich es genau durch. Und so, stelle ich mir vor, ist es gewesen:
    Du bist spät dran gewesen. Wahrscheinlich, weil die Schlange im Supermarkt lang war. Abends haben wir noch ins Kino gehen wollen, und du hast in die Pedale getreten an diesem Tag, bist besonders schnell gefahren, aus dem Park geschossen, über die Kreuzung und dann die Hauptstraße hinunter. Dort entlang fährst du nicht gerne, weil man leicht in die Schienen der Straßenbahn gerät. Seitdem ich in dieser Stadt wohne, erzählt man sich Geschichten über Straßenbahnunfälle, von abgefahrenen Füßen und Beinen.
    Am liebsten hörst du schnelle Musik. Dann bist du nur noch Bewegung, du verschwindest in den Lauten, dem Bass, dem Refrain, in den Farben und der Geschwindigkeit. Die Welt läuft durch dich hindurch. Manchmal nimmst du mich auf dem Gepäckträger mit, dann halte ich mich an dir fest, und wir fahren schnell, schnell und immer schneller. Auch wenn wir absteigen, wenn wir ankommen, ist ein Teil von mir noch in Bewegung, fühlt ein Teil sich noch immer gelöst.
    Für gewöhnlich stellst du die Musik aus, wenn du den Park verlässt. Warum du es an diesem Tag nicht getan hast, weiß ich nicht. Vielleicht warst du mitten in einem Lieblingslied.
    Später gibt man mir deinen Player. Er sieht zerschrammt aus, und weil die Kopfhörer nicht funktionieren, denke ich zunächst, er sei kaputt. Aber als ich versehentlich auf eine der Tasten komme, leuchtet das Display auf. Auf dem Player sind 754 Lieder, und weil ich jetzt viel Zeit habe, höre ich mir jedes

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