Das fünfte Zeichen
Serienmorden. «
Aune deutete auf den nächsten Punkt. Dort stand: » PSY C HO PATH/SOZIOPATH «.
» Das wohl typischste Merkmal eines Serienmörders ist, dass er Amerikaner ist. Nur Gott –und vielleicht ein paar Psychol o gieprofessoren –wissen, warum das so ist. Für uns ist nur interessant, dass das FBI und die amerikanischen Rechtsinsta n zen, die folglich am meisten über Serienmörder wissen, zwei Typen unterscheiden: den psychopathischen und den soziopath i schen Serienmörder. Die erwähnten Professoren sind zwar der Meinung, dass diese Unterscheidung unhaltbar ist. Doch im Heimatland des Serienmordes halten sich die meisten Richter an die McNaughton-Regel: Nur der psychopathische Serienmörder weiß bei der Tat nicht, was er tut. Dem Psychopathen bleibt also im Gegensatz zum Soziopathen das Gefängnis erspart, oder die Todesstrafe –von der man häufig Gebrauch macht in Gottes eigenem Land. Gerade bei Serienmördern, soviel ich weiß. Hmm … «
Er drückte die Kappe auf den Filzschreiber und runzelte überrascht die Stirn.
Waaler hatte sich gemeldet. Aune nickte.
» Das Strafmaß ist ja interessant, aber wir müssen ihn erst einmal schnappen. Haben Sie etwas, das uns in der Praxis helfen könnte? «
» Sind Sie verrückt, ich bin Psychologe. «
Gelächter. Aune verbeugte sich zufrieden.
» Ja doch, ich komme noch dazu, Waaler. Aber lassen Sie mich erst noch sagen, dass Sie schweren Zeiten entgegengehen, wenn Sie bereits jetzt ungeduldig werden. Erfahrungsgemäß braucht nichts so viel Zeit, wie einen Serienmörder zu fassen. Jedenfalls wenn es einer vom falschen Typus ist. «
» Was bedeutet falscher Typus? « Es war Magnus Skarre, der fragte.
» Lassen Sie mich erst kurz darauf eingehen, wie die Profiler des FBI psychopathische und soziopathische Serienmörder unterscheiden. Der psychopathische ist oft ein mangelhaft sozialisiertes Individuum ohne Arbeit, ohne Ausbildung, mit einer Kriminalakte und einer Menge Probleme. Ganz im Gegensatz dazu der Soziopath: Er ist intelligent, anscheinend erfolgreich und lebt ein normales Leben. Der Psychopath fällt auf und gerät dadurch schnell unter Verdacht, während der Soziopath in der Menge untergeht. Für die Nachbarn und Bekannten kommt es deshalb meistens wie ein Schock, wenn ein Soziopath entlarvt wird. Ich habe mit einer Psychologin gesprochen, die für das FBI Profile erstellt. Sie sagte, als Erstes achte sie auf die Tatzeit. Einen Mord zu begehen braucht nämlich Zeit. Ein wichtiger Anhaltspunkt für sie war, ob die Morde an Werktagen, an Wochenenden oder in den Ferien verübt wurden. Letzteres sei ein Indiz dafür, dass der Mörder einem Beruf nachgeht, was die Wahrscheinlichkeit vergrößere, dass man es mit einem Soziopathen zu tun hat. «
» Unser Mann tötet in den Ferien. Würde das bedeuten, dass er einen Job hat und Soziopath ist? «, fragte Beate.
» Es ist natürlich noch sehr früh, um eine solche Schlussfolg e rung zu ziehen, doch wenn ich alles in Betracht ziehe, was wir wissen –vielleicht. Ist das praxisnah genug? «
» Schon «, sagte Waaler. » Aber wenn ich richtig verstehe, ist das gleichzeitig eine schlechte Nachricht? «
» Korrekt. Unser Mann sieht verdammt nach dem falschen Typ Serienmörder aus. Einem Soziopathen. «
Aune gab den Anwesenden ein paar Sekunden, die Neuigke i ten zu verdauen, ehe er fortfuhr.
» Dem amerikanischen Psychologen Joel Norris zufolge durc h laufen Serienmörder im Zusammenhang mit jedem Mord sechs mentale Phasen. Die erste nennt man Auraphase. In dieser Phase entgleitet der Person die Wirklichkeit mehr und mehr. Die Totemphase, die fünfte Phase, ist der eigentliche Mord, die Klimax jedes Serienmörders. Oder genauer gesagt, die Antikl i max. Denn der Mord reicht nie wirklich, um die Sehnsucht des Mörders nach Katharsis, nac h R einigung und Erlösung, zu erfüllen, die sich der Täter von dem eigentlichen Tötungsvo r gang erhofft hatte. Deshalb gleitet er nach dem Mord direkt in die sechste Phase, die depressive Phase. Die dann wieder in eine neue Auraphase übergeht, in der er beginnt, sich mental auf den nächsten Mord einzustellen. «
» Es geht also immer im Kreis «, sagte Bjarne Møller, der sich unbemerkt in den Raum geschlichen hatte und neben der Tür stand. » Wie ein Perpetuum mobile. «
» Abgesehen davon, dass eine Ewigkeitsmaschine ihre Bew e gungen unverändert wiederholt «, sagte Aune, » während der Serienmörder einen Prozess durchläuft, der auf lange Sicht sein
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