Das gebrochene Versprechen
hatte.
Inzwischen
war es zehn Uhr vierzig. Ricky war jetzt schon über eine halbe Stunde auf der
Bühne. Der Gedanke, was jeden Moment geschehen konnte, warf mich zwischen Panik
und Wut hin und her. »Okay«, sagte Sergeant Boyd. »Ich verstehe ja, was Sie mir
da erzählen, aber ich sehe nicht, wieso irgendeine signifikante Gefahr für
Ihren Klienten bestehen sollte.«
War
er schlicht dumm oder einer von denen, die alles in dreifacher Ausfertigung
wollten, ehe sie etwas unternahmen?
Er
fuhr fort: »Ich fürchte, ich muss diese Sache an meinen Lieutenant weitergeben.
Wenn Sie morgen früh wiederkommen, können wir weiter drüber reden.«
Weder
dumm noch bürokratisch, er war der Bloß-nichts-riskieren-Typ. »Morgen früh ist
es für meinen Klienten möglicherweise zu spät.«
»Ms.
Kelleher, ich glaube, Sie machen zu viel daraus.«
Da
platzte mir der Kragen. Ich stand auf und beugte mich über den Schreibtisch,
die Hände flach auf die Platte gepresst. Und erinnerte mich an ein weiteres
McCone-Axiom: Niemals schrill werden. Immer die Stimme tief halten, wenn du
jemanden zur Schnecke machst.
Ich
hielt meine Stimme tief. »Morgen früh werden vielleicht eine Menge Leute sehr
viel aus Ihrem Versagen machen.«
»Was
soll das heißen?«
»Morgen
früh ist das Coliseum womöglich schon mit dem Blut meines Klienten besudelt.
Morgen früh wird die Presse womöglich herausfinden, dass mir die Polizei von Albuquerque
die Information verweigert hat, die ihn hätte retten können. Erklären Sie das
dann Ihrem Lieutenant — und der hiesigen Wirtschaftsförderung.«
Sergeant
Boyd wurde steif und begann mit den Fingern auf der Schreibtischkante
herumzutrommeln.
Ich
verharrte in meiner Pose und wartete.
Schließlich
wandte er sich achselzuckend seinem Computer zu und rief die Datei auf.
28
23 Uhr 24
»Tja, wir haben das ganze
Backstage durchsucht, aber es ist keine Waffe aufgetaucht«, sagte Hy.
»Dann hat sie derjenige, der
sie reingeschmuggelt hat, bei sich.«
»Es gibt keinen Beweis für
deine Theorie.«
»Findest du’s nicht seltsam,
dass noch nie jemand an Rats Koffer war, es heute aber gleich zweimal passiert
ist? Hat jemand von den Sicherheitsleuten den Koffer durchsucht, bevor Rats ihn
hier hereingebracht hat?«
»Er war die ganze Zeit in die
Sicherheitsplanung einbezogen; sie sahen keinen Grund dafür.«
Aus der Arena kam jetzt
stürmischer Applaus. Ricky hatte »The Broken Promise Land« gesungen, und das
Publikum war begeistert. Ich hingegen begann diesen Song zu hassen. Für mich
symbolisierte er all die achtlosen, dummen und gemeinen Dinge, die Menschen
taten und dann zu rechtfertigen suchten. Er symbolisierte, wie wir einander
verletzten und vernichteten und uns dann weigerten, die Verantwortung für unser
Tun zu übernehmen. Kapierte das jemand von den zehntausend Leuten dort draußen?
Kümmerte es sie überhaupt? Hy sah die Frustration und Angst auf meinem Gesicht;
er legte mir die Hand auf die Schulter und wollte etwas sagen. Und da piepte
Rickys Handy in meiner Umhängetasche. Ich fummelte es heraus und meldete mich.
Jenny Gordon.
»Ich bin hier in Nashville, und
Tod Dodson ist am Nebenapparat«, sagte sie. »Er hat Ihnen etwas zu erzählen.«
Die Stimme, die ich jetzt
hörte, klang jung und nervös. »Ms. McCone? Hier ist Tod Dodson. Ich war
Patricias Freund —«
»Ich weiß, Mr. Dodson. Wo kann
ich sie finden?«
Schweigen.
Jenny sagte: »Sagen Sie’s ihr,
Tod.«
»Ms. McCone, Patricia ist...
sie ist tot. Sie hat sich umgebracht; ich habe einen Brief, in dem sie damals
angekündigt hat, dass sie’s tun würde.«
O nein, das durfte nicht wahr
sein! »Sind Sie sicher, dass sie’s wirklich getan hat?«
»Ja. Ein Freund von uns hat es
damals in der Zeitung gelesen. Sie hat sich in Albuquerque umgebracht, heute
Abend vor drei Jahren.«
Raes Tagebuch:
23
Uhr 34
»Heute
Abend vor drei Jahren? Großer Gott!«
»Alles
okay, Ms. Kelleher?«
»Diese
Information — sind Sie sicher, dass das alles stimmt?«
»Das
ist der Bericht des Beamten, der vor Ort war, und die nachfolgenden
Ermittlungen haben es bestätigt.«
Ich
stieß mich vom Schreibtisch ab und strebte zur Tür.
»Ms.
Kelleher! Warten Sie!«
Ich
blieb stehen. Wo wollte ich hin? Rickys Auftritt näherte sich dem Ende, und ich
wusste nicht mal, wie man zum Messegelände kam, geschweige denn zum Tingley
Coliseum.
»Kann
ich mal telefonieren?«
Boyd
machte eine einladende
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