Das Geheime Vermächtnis
kannst du es wagen?«, flüsterte Caroline. Meredith starrte auf ihre Füße hinab. Ihr Schweigen schien ihre Mutter nur noch mehr zu reizen. » Wie kannst du es wagen! «, schrie sie so laut und barsch, dass Meredith zusammenzuckte und zu weinen begann. »Antworte – wo warst du mit denen? Was habt ihr gemacht?« Mrs. Priddy erschien aus einem Zimmer weiter hinten im Flur und eilte herbei, um sich schützend hinter Meredith zu stellen.
»Mylady? Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte die Haushälterin eingeschüchtert.
Caroline ignorierte sie. Sie beugte sich vor, packte Meredith bei den Schultern und schüttelte sie grob.
» Antworte mir! Wie kannst du es wagen, mir ungehorsam zu sein, Mädchen!«, spie sie aus, und ihr hageres Gesicht war zu einer zornigen Fratze verzerrt. Meredith schluchzte noch lauter, und Tränen purer Angst rannen ihr über die Wangen. Caroline richtete sich auf und tat einen Atemzug, bei dem ihre Nasenflügel bebten. Sie musterte ihre Tochter kurz und schlug ihr dann hart ins Gesicht.
»Mylady! Nicht doch!«, rief Mrs. Priddy. Meredith verfiel in schockiertes Schweigen, den Blick starr auf die Röcke ihrer Mutter gerichtet, denn höher wagte sie ihn nicht zu heben. Caroline packte sie am Arm, zerrte sie grausam zu ihrem Zimmer und stieß sie so abrupt hinein, dass Meredith stolperte.
»Du wirst hierbleiben und erst herauskommen, wenn du deine Lektion gelernt hast«, verkündete Caroline kalt. Meredith wischte sich die Nase. Ihr Gesicht brannte, wo ihre Mutter sie geschlagen hatte. »Du bist ein böses Kind. Keine Mutter könnte dich jemals lieb haben«, sagte Caroline. Und das Letzte, was Meredith sah, ehe die Tür geschlossen wurde, war Mrs. Priddys fassungslose Miene.
Meredith blieb eine Woche lang in ihrem Zimmer eingeschlossen. Das Personal hatte strenge Anweisung, ihr nichts als Brot und Wasser zu bringen, aber sobald Caroline zu Bett gegangen war, brachten Estelle und Mrs. Priddy ihr Kekse, Scones und Schinkensandwiches. Sie bürsteten ihr das Haar, erzählten ihr lustige Geschichten und behandelten ihre Lippe, die von dem Schlag angeschwollen war, mit Arnikasalbe. Doch Meredith blieb so stumm und verschlossen, dass die Frauen über ihren Kopf hinweg besorgte Blicke tauschten. Keine Mutter könnte dich jemals lieb haben. Meredith dachte lange über diese Aussage nach und weigerte sich, sie zu glauben. Sie würde ihre Mutter dazu bringen , sie zu lieben, beschloss sie. Sie würde ihr beweisen, dass sie nicht böse war, sie würde sich nach Kräften bemühen, brav und gehorsam zu sein und sich stets geziemend zu verhalten, und so würde sie das Herz ihrer Mutter für sich gewinnen. Und sie würde den Zigeunern aus dem Weg gehen. Ihretwegen konnte Merediths Mutter sie nicht lieben. Die sind hier nicht willkommen. Matt lag sie auf ihrem Bett und fühlte den alten Ärger, die alte Abneigung gegen die Dinsdales wieder aufwallen und sich zu einer erstickenden Wolke verdichten, die einen düsteren Schatten über ihr Herz warf.
Epilog
Epilog
E ndlich sieht es so aus, als könnte der Frühling sich durch setzen. Wir haben die matschige Osterglocken-Phase hinter uns und auch die Woche, in der Wind und Regen weiche Blüten von den Bäumen rissen, die in rosigen und braunen Häuflein am Straßenrand verrotteten. Jetzt tun sich im Boden meines dürftigen Gartens kleine Spalten auf, und junge Spatzen hocken auf dem Zaun, ganz aufgerissene gelbe Schnäbel und flaumige Federn. Ich würde mir vielleicht eine Katze anschaffen, wenn diese absurden kleinen Vögel nicht wären, die da Schulter an Schulter sitzen wie Perlen auf einer Schnur. Ich sehe mir täglich ihre Fortschritte an. Der letzte Mieter hier hat seine Motorräder auf dem Rasen geparkt und den Schrott seiner Schrauberei überall angehäuft, deshalb ist das Gras sehr spärlich, aber jetzt wird es sprießen, glaube ich. Die Sonne hat endlich ein wenig Kraft. Ich sitze draußen in ihrer Wärme, recke ihr wie ein Gänseblümchen das Gesicht entgegen und kann spüren, dass der Sommer kommt.
Letzten Endes war es eine Erleichterung, dass mir alle Entscheidungen abgenommen wurden. Von Dinny. Was sollte ich Clifford und Mary sagen? Dass Henry am Leben, aber behindert war, und dass ich ihn zwar über Weihnachten ständig gesehen, ihnen jedoch nichts davon gesagt hatte, und nun nicht einmal raten konnte, wo er war? Und warum sollte ich überhaupt versuchen, im Herrenhaus zu bleiben, wenn sie alle fort waren? Beth, Dinny, Harry. Henry. Aber ich
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