Alle Naechte wieder
1. KAPITEL
Das Haus zu hüten, in dem sie aufgewachsen war, schien eine feine Sache zu sein – bis zu dem Moment, in dem die Mikrowelle explodierte und alle Lichter ausgingen.
Nun gut, richtig explodiert war die Mikrowelle nicht. Sie machte einfach plopp und gab ihren Geist auf. Und es waren auch nicht schlagartig alle Lichter ausgegangen, aber Chloe Burkes Vertrauen in die Steckdosen der elterlichen Küche war so gründlich erschüttert, dass sie es nicht riskieren wollte, einer davon ihren Laptop anzuvertrauen. Draußen war es zwar noch hell, doch Anfang Dezember in Maine setzte die Dämmerung früh ein und es wurde rasch dunkel. Also bewaffnete sie sich mit einer Taschenlampe, ehe sie sich in den Keller hinabwagte, um nach dem Sicherungskasten zu schauen.
Dort fand sie anstelle säuberlich aufgereihter Sicherungsschalter eine Anzahl altertümlich aussehender runder Dinger, die in Schraubfassungen steckten. Da Chloe nicht auf Elektrotechnik, sondern auf das Entwerfen von Webseiten spezialisiert war, schien es ihr nicht ratsam, ihre Finger in derart fragwürdige Installationen zu stecken. Es war Zeit, einen Fachmann zu rufen.
Das Telefonbuch fand sie in der Küchenschublade, in der die Telefonbücher schon lagen, solange sie sich erinnern konnte. Hinten an die Umschlagseite war wie eh und je eine handgeschriebene Liste mit den wichtigsten persönlichen Rufnummern ihrer Eltern geheftet. Weil das Papier nicht vergilbt war und nicht bei der ersten Berührung auseinanderfiel, schöpfte Chloe die Hoffnung, es mit einigermaßen aktuellen Nummern zu tun zu haben. Ihre Eltern waren beide bereits über achtzig und besaßen noch eines jener altmodischen Schnurtelefone, die von keiner Stromversorgung abhängig waren. Das kam ihr nun entgegen, denn der Akku ihres Handys war nahezu leer.
Die Daten der Firma, an die sich ihre Eltern sonst für dergleichen Reparaturen immer gewandt hatten, wie sie sich erinnerte, waren ausgestrichen. Ein neuer Eintrag stand darüber, Quinn Electric, daneben hingequetscht eine Telefonnummer. Irgendwie meinte sie, diesen Namen schon gehört zu haben, konnte ihn jedoch nicht unterbringen. Vielleicht ein Bekannter ihres Vaters. Es war wahrscheinlich längst Geschäftsschluss, dennoch versuchte sie es. Und siehe da, nach dem zweiten Klingeln wurde abgehoben.
„Quinn Electric.“
Eine unglaublich sexy klingende männliche Stimme. Also sicherlich keiner von Dads Kumpeln aus dem Veteranenverein.
„Hi“, meldete sich Chloe, „ich weiß, es ist schon spät, aber ich habe ein Problem mit der Elektrik. Ich habe die Mikrowelle anstellen wollen, da gingen plötzlich alle Lichter aus.“
„Das klingt allerdings nach einem Problem mit der Elektrik.“
Zum attraktiven ersten Eindruck dieser Stimme gesellten sich weitere, die ebenfalls nicht unangenehm waren. Chloe hörte Wärme und einen gewissen Sinn für Humor heraus. Unbewusst begann sie, wie ein Teenager verträumt die Telefonschnur um einen ihrer Finger zu wickeln. „Der Heizungskessel funktioniert noch. Ein richtiger Notfall ist das also im Moment nicht, glaube ich, doch …“
„Wo wohnen Sie denn?“
„Genau genommen ist es das Haus meiner Eltern.“ Sie gab dem Mann die Adresse und hoffte das Beste. Auch wenn es nicht wirklich ein Drama wäre, war sie nicht begeistert von dem Gedanken, den Abend und die Nacht im Finstern zu verbringen. Ihr Gesprächspartner lachte leise. Ein schönes, tiefes Lachen. Chloe hatte das Gefühl, als setzten sich dessen Schwingungen durch den Telefonhörer bis in ihren Körper fort.
„Sie müssen Chloe sein. Sind John und Anna endlichauf ihrem Schiff, sodass Sie in Ruhe in ihr Haus einbrechen konnten?“
Kleinstädte sind ein Fluch, sinnierte sie. „Ja, sie sind auf See. Ich habe im Sicherungskasten nachgesehen und keine Sicherungen gefunden. Jedenfalls nichts in der Art, womit ich etwas anfangen könnte.“
„Ich habe schon früher versucht, Ihren alten Herrn davon zu überzeugen, sich von der altersschwachen Anlage zu trennen und eine leistungsfähigere einbauen zu lassen, aber er ist … nun …“
„Zu geizig?“
„Ich hätte sparsam gesagt.“
„Ich bin nicht so sparsam. Könnten wir also einen Termin vereinbaren und Sie kommen und schauen sich diese Sicherungen an, oder was auch immer, damit ich wenigstens wieder Licht im Haus habe?“
„Ich bin gerade bei den Fosters fertig und kann in zehn Minuten bei Ihnen sein.“
„Wunderbar. Ein unschlagbarer Service.“
„Die Zufriedenheit
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