Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
sich mit einem Ruck zu befreien, doch der Mann hinter ihm umklammerte seine Taille. Mondino hörte, wie etwas in Scherben ging. Eine der Öllampen musste zu Boden gefallen sein.
»Lasst mich sofort los!«
»Wir wollen nur eintreten und selbst nachsehen. Wenn Ihr nichts vor uns verbergt, habt Ihr nichts zu befürchten.«
»Hier in der Nähe wohnen viele meiner Studenten«, sagte Mondino mit kaum verhohlener Wut. »Ich habe zahlreiche von ihnen gesehen, die vor kurzem geholfen haben, den Brand zu löschen. Wollt Ihr wirklich, dass ich sie zu Hilfe rufe?«
Die Wachen lockerten kaum merklich ihren Griff. Sie wussten genau, dass die Studenten freudig jede Gelegenheit nutzten, um Unruhe zu verbreiten, besonders wenn einer von ihnen oder einer ihrer Lehrer bedroht wurde. Das wusste natürlich auch Uberto da Rimini. Er warf Mondino einen so schneidenden Blick zu, dass dieser all seine Selbstachtung aufbieten musste, um die Augen nicht zu senken, und sagte leise: »Lasst ihn los.«
Die Häscher wichen einen Schritt zurück, wobei die Kurzschwerter an ihren Gürteln leise klirrten. Ihre Gesichter verrieten keinerlei Gefühlsregung, so dass Mondino den Eindruck gewann, sie würden ohne zu zögern jedem Befehl des Inquisitors gehorchen, obwohl sie der Stadt und nicht der Kirche unterstanden. Außerdem konnte er sich ausmalen, dass es ziemlich unangenehme Folgen haben könnte, wenn man einem Befehl Uberto da Riminis nicht nachkam.
»Wir werden diesen Mann bald fassen und ihn dazu bringen, alles zu gestehen«, sagte der Dominikaner und sah dem Arzt mit eindringlichem Blick in die Augen. »Ich hoffe für Euch, dass Ihr die Wahrheit gesagt habt.«
Dann wandte er sich so ruckartig um, dass sein schwarzer
Mantel und die gedrehte Leinenkordel, mit der seine weiße Kutte zusammengehalten wurde, herumschwangen, und entfernte sich in Richtung der Kirche Sant’Antonino. Die Wachen folgten ihm wortlos.
Obwohl er ihnen am liebsten eine beißende Bemerkung nachgerufen hätte, neigte Mondino nur den Kopf und sagte: »Friede mit Euch, Vater.«
Sobald er hörte, dass die Tür geschlossen wurde, stieg Gerardo aus der Truhe, in der er sich auf Befehl des Arztes auf die Leiche seines Freundes hatte legen müssen.
»Mir ist beinahe das Herz stehen geblieben«, sagte er und holte tief Luft.
»Genau wie mir«, erwiderte Mondino. »Obwohl ich draußen an der frischen Luft war.«
Schweigen machte sich breit. Während seiner Flucht über die Dächer war Gerardo keine Zeit zum Überlegen geblieben. In der Truhe hatte er mit klopfendem Herzen die Ohren gespitzt, bereit, eine Verzweiflungstat zu begehen, sollte der Inquisitor hereinkommen und den Raum durchsuchen oder Mondino ihn verraten. Doch nun, wo die Gefahr vorüber war, erinnerte sich sein Körper mehr als sein Kopf an das Gefühl von Angelos kalter Haut, diesen engen, direkten Kontakt mit dem Tod. Gerardo erschauerte so heftig, dass er sich auf den Boden setzen musste. Schließlich strömten Tränen aus seinen Augen.
Mitleidslos holte ihn Mondino brüsk in die Gegenwart zurück.
»Die Totengräber, auf die ich warte, müssen gleich hier sein«, sagte er. »Vermutlich haben sie sich vor den Leuten versteckt, die das Feuer gelöscht haben, und vor dem Inquisitor, aber sobald auf der Straße Ruhe eingekehrt ist, werden sie hier klopfen.«
»Ihr erwartet Totengräber?«, fragte Gerardo und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab. »Um diese Zeit?«
Obwohl der Arzt gerade riskiert hatte, verhaftet und schwer bestraft zu werden, wenn die Häscher den Gesuchten bei ihm gefunden hätten, wirkte er nicht verängstigt. Gerardo betrachtete ihn genauer - und vielleicht weil sie nun nicht mehr Lehrer und Schüler waren, war es für ihn, als sähe er Mondino zum ersten Mal: einen Mann um die vierzig, der aber jünger wirkte. Groß und schlank, mit grünen, durchdringenden Augen unter der hohen Stirn. Wenn er den gestählten Körper unter dem schwarzen, knöchellangen Gewand näher besah, hatte er wohl gut daran getan, dass er erst gar nicht versucht hatte, ihn zu entwaffnen. Trotz seiner Ausbildung und ihres Altersunterschiedes hätte eine tätliche Auseinandersetzung mit dem Arzt einen unerwarteten Ausgang nehmen können.
Während beide Angelos Leiche aus der Truhe holten und ihn wieder auf den Marmortisch legten, erklärte Mondino seinem Schüler, dass er auf die Leiche einer an diesem Tag hingerichteten Frau wartete, an der er eine Sektion vornehmen würde.
»Ich habe die Frage
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