Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
sich, sein Wissen mit ihm zu teilen. Er griff in die kleine Ledertasche, die er am Gürtel trug, und holte ein zerknittertes Stück Papier hervor.
»Das fiel aus Angelos Gewand, als ich ihn angezogen habe. Vielleicht ist es ja nicht wichtig, aber andere Hinweise habe ich nicht.«
Mondino begutachtete den Zettel. Er schien hastig von einem größeren Blatt abgerissen worden zu sein und enthielt nur wenige Worte, die jemand mit einem Griffel ohne Tinte oder vielleicht mit einem Fingernagel eingeritzt haben musste.
»Filomena, Schwemme, Markt«, las Mondino laut. »Das ist die Adresse einer Frau. Eine Dirne?«
»Das habe ich ebenfalls vermutet, Magister. Es könnte sein, dass Angelo sein Keuschheitsgelübde nicht immer eingehalten hat.«
Mondino verzog die Lippen zu einem sarkastischen Lächeln, und Gerardo machte sich schon darauf gefasst, einem
Kommentar über Mönche, die das Leben allzu sehr genossen, widersprechen zu müssen, doch der Arzt schwieg und sah wieder auf den Zettel.
»Es gibt in der Stadt viele Schwemmen, an denen man Tiere waschen und tränken kann. Und einige Märkte«, sagte er dann. »Doch ich möchte wetten, dass es sich um den auf der Piazza Campo del Mercato handelt.«
»Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein?«
»Dein Freund war fremd hier. Wenn er sich nur diese Worte notiert hat, ohne nähere Angaben, könnte ich mir vorstellen, dass er den größten Tiermarkt meinte.«
Vermutlich hatte er Recht, aber Gerardo wollte seinen alten Lehrer nicht schon wieder loben. »Dann werde ich dort mit meinen Nachforschungen beginnen«, sagte er nur. »Für heute Nacht …«
»Heute Nacht kannst du hierbleiben«, unterbrach ihn der Arzt und löste sich von der Bank. »Es gibt zwar kein Bett, aber du kannst die Decken aus der Truhe auf dem Tisch ausbreiten und dort schlafen.«
»Ich werde die Nacht damit verbringen, für Angelos Seele zu beten«, erwiderte Gerardo. Allein bei dem Gedanken, sich auf diese Marmorplatte zu legen, auf der schon so vielen Leichen die Eingeweide entnommen worden waren, schauderte es ihn.
»Wie du willst. Morgen zur dritten Stunde habe ich Unterricht, aber der Pedell kommt schon zur ersten Stunde, um den Hörsaal vorzubereiten. Sorg dafür, dass du dann nicht mehr hier bist.«
»Seid unbesorgt, ich werde in der Morgendämmerung aufbrechen«, antwortete Gerardo. »Und dann werde ich sofort nach der Frau zu suchen beginnen. Was habt Ihr vor?«
»Ich werde mit einigen Alchimisten reden, die ich kenne. Am Nachmittag, kurz vor der Vesper, treffen wir uns in der
Kirche der Heiligen Vitale und Agricola, in der Nähe meiner Wohnung. Du findest mich dort in der Bank meiner Familie.«
»Keine Sorge, ich werde dort sein.«
»Gut«, meinte Mondino und öffnete die Tür. »Dann bis morgen.«
»Bis morgen, Magister«, antwortete Gerardo. »Und ich danke Euch nochmals für alles.«
Der Arzt wandte sich langsam um und betrachtete ihn aufmerksam. »Ich habe meine Entscheidungen immer impulsiv getroffen«, sagte er. »So auch die, dir zu helfen. Ich hoffe, du wirst dein Bestes tun, damit ich sie nicht bereuen muss.«
Mit diesen Worten ging er hinaus auf die dunkle Gasse, nahm nicht einmal eine Laterne mit, um sich den Weg zu leuchten, und machte sich mit sicheren Schritten auf den Heimweg.
Gerardo blieb reglos auf der Schwelle stehen, um den ruhigen Lauten der Nacht zu lauschen. Falls die Nachbarn schon wieder in ihre Betten gegangen waren, bedeutete das, dass der Brand keine schweren Schäden verursacht hatte. Dennoch würde man den Häschern seine Beschreibung gegeben haben, und von morgen an würde nicht nur die Inquisition, sondern auch die Stadtpolizei nach ihm suchen. Er würde eine neue Unterkunft finden, einen anderen Namen annehmen und doppelt so wachsam wie vorher sein müssen.
Gerardo schloss die Tür und sicherte sie mit dem Riegel. Dann fuhr er sich durch die beinahe schulterlangen Haare, mehr um sich zu beruhigen, als um sie zu ordnen, ging zu der Truhe und kniete davor nieder. In Ermangelung der Leiche würde er an Angelos eisernem Herzen wachen, das dort unter zwei Decken begraben in der hölzernen Truhe lag.
Er war sicher, dass Angelos Seele, wo auch immer sie sich jetzt befinden mochte, dringend Trost brauchte.
ZWEI
U nter einem bleigrauen wolkenverhangenen Himmel stand Uberto da Rimini tief gebückt in der schmalen Allee des kleinen Friedhofs, der sich an die Kirche San Domenico anschloss, und jätete rund um die Gräber Unkraut. Er war früh wach geworden und
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