Das Geheimnis der Eulerschen Formel
was ich sagen soll. Ich habe alles ruiniert. Wie konnte mir das nur passieren?«
Wir versuchten, den Professor zu trösten. Root nahm ihm die leere Schachtel aus den Händen und legte sie unbekümmert auf einen der Stühle, als wäre nichts Besonderes darin gewesen. Ich drehte das Radio leise und schaltete das Licht an.
»Es ist doch nicht alles kaputt«, beruhigte ich ihn. »Es gibt keinen Grund, traurig zu sein.«
Um den Abend zu retten, mussten wir so schnell wie möglich zur Tagesordnung übergehen, damit der Professor gar keine Zeit hatte, weiter über sein Missgeschick nachzudenken.
Die Torte war aus der Schachtel herausgerutscht und auf den Tisch gefallen. Auf einer Seite war sie ganz zerdrückt, aber die andere Seite war unversehrt, sodass man sogar noch die Hälfte der Schrift aus Schokoladenglasur lesen konnte:
Dem Professor & Root herzlichen Glück
… Ich schnitt den Rest der Torte in drei Stücke und schob mit dem Messer die Sahnefüllung zusammen. Dann sammelte ich die Erdbeeren, die kleinen Hasen aus Gelee und die Engel aus Zuckerwerk ein und verteilte sie so gleichmäßig wie möglich. Zum Schluss steckte ich die Kerzen in Roots Tortenstück.
»Sehen Sie nur, die Kerzen bleiben stehen!« rief Root und schaute den Professor an.
»Ja, jetzt können wir sie anzünden«, verkündete ich.
»Und die Torte schmeckt auch richtig gut.«
»Es sieht so aus, als wäre gar nichts passiert.«
Abwechselnd versuchten wir den Professor aufzumuntern, indem wir ihm klarmachten, wie unverhältnismäßig seine Schuldgefühle im Vergleich zu dem kleinen Missgeschick seien. Er ging aber nicht darauf ein, sondern verharrte schweigend neben dem Tisch.
Um ehrlich zu sein, war es nicht so sehr der zerdrückte Kuchen, der mir Kopfzerbrechen bereitete, sondern das Tischtuch. Die Maschen der Spitze waren mit Tortencreme verschmiert, und das ließ sich nicht mit einem feuchten Tuch bereinigen. Mein ständiges Reiben half gar nichts, außer dass sich im Zimmer ein unangenehm süßer Geruch ausbreitete. Die feine Klöppelarbeit, die der Professor mit viel Mühe wieder zum Leben erweckt hatte, war ruiniert. Es war nicht die Torte, die einen heillosen Schaden erlitten hatte, sondern die Tischdecke.
Ich stellte den Teller mit dem Roastbeef auf die schmutzige Stelle, machte die Suppe warm und holte Streichhölzer, um die Kerzen anzuzünden. Der Reporter im Radio vermeldete, dass Yakult im dritten Durchgang aufgeholt hatte. Root hielt immer noch die mit einem gelben Geschenkband versehene Enatsu-Karte in seiner Tasche versteckt, um sie dem Professor zu übergeben.
»Hier, sehen Sie. Es ist alles wie vorher. Bitte nehmen Sie Platz«, sagte ich und ergriff seine Hand.
Endlich hob er den Kopf, und als er Root neben sich erblickte, fragte er mit heiserer Stimme: »Wie alt bist du?«
Dabei strich er ihm über den Kopf.
»Deine Kopfform erinnert mich an das Wurzelzeichen, das unendlich vielen Zahlen ein schützendes Dach über dem Kopf gibt, selbst denen, die für uns nicht mehr wahrnehmbar sind.«
11
Am 24. Juni 1993 stand in der Zeitung ein Artikel über den Engländer Andrew Wiles, der an der Universität Princeton lehrte. Er hatte den Beweis für den großen Fermatschen Satz erbracht.
Zwei große Abbildungen zierten den Artikel: ein Foto von Wiles, mit schütterem Haar und einem einfachen Wollpullover bekleidet, und ein Kupferstich von Pierre de Fermat aus dem 17. Jahrhundert. Der fast komisch wirkende Kontrast zwischen den beiden Porträts zeigte recht gut, wie viel Zeit vergehen musste, um Fermats Theorem zu lösen. Der Artikel lobte Wiles’ Verdienst als eine triumphale Leistung des menschlichen Intellekts und einen Quantensprung auf dem Gebiet der Mathematik. Erwähnt wurde auch, dass Wiles’ Beweisführung in ihrem Kern auf einer Behauptung fußte, die von zwei japanischen Mathematikern namens Yutaka Taniyama und Goro Shimura aufgestellt wurde.
Als ich den Artikel zu Ende gelesen hatte, kramte ich wie üblich, wenn ich an den Professor denken musste, das zusammengefaltete Stück Papier hervor. Es war der Zettel, auf dem er die Eulersche Formel notiert hatte:
e i
π + 1 = 0
Sie war mein stetiger Begleiter, immer bereit, wenn ich ihrer bedurfte. Ihre ewige Schönheit gab mir Ruhe und Frieden.
1992 hatten die Tigers es nicht geschafft, Meister zu werden. Sie hatten zwar in den letzten beiden Spielen noch die Chance gehabt, die Tabellenführung zu übernehmen, aber am 10. Oktober verloren sie 2 : 5 und landeten am
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