Das Geheimnis der Eulerschen Formel
Privatdetektive, Wahrsager … Die Gebäude waren in einem so desolaten Zustand, dass allein schon das Fahren mit dem Aufzug deprimierend war. Aber sobald wir das Büro eines der Händler betraten, eröffnete sich für Root jedes Mal jenes Paradies, das er aus der Keksdose des Professors kannte.
Nachdem sich seine erste Aufregung gelegt hatte, konzentrierten wir uns ganz darauf, die passende Enatsu-Karte aufzuspüren. Wie zu erwarten war, gab es reichlich davon. Die Läden besaßen ein ähnliches Ordnungssystem wie die Sammlung des Professors, mit Rubriken für Stars wie Enatsu, Sadaharou Ô und Shigeo Nagashima, während die anderen Karten nach Mannschaften, Spielzeiten oder Positionen sortiert waren. Wir gingen in die »Enatsu-Ecke« und schauten uns jede einzelne Karte an, ich begann von vorne, und Root fing von hinten an. Es war eine Aufgabe, die viel Durchhaltevermögen erforderte, denn jede Karte konnte die richtige sein. Wir fühlten uns, als würden wir ohne Kompass in einem dunklen Wald herumirren. Aber wir ließen uns nicht entmutigen, sondern hatten bald eine Methode gefunden, wie man möglichst zügig vorankommen konnte.
Mit Daumen und Zeigefinger zogen wir die einzelnen Karten heraus und schauten, ob der Professor sie schon besaß. Wenn nicht, prüften wir, ob sie unseren Kriterien entsprach. In Sekundenschnelle gingen wir Karte für Karte durch. Aber leider ohne Erfolg. Entweder hatte der Professor die Karte schon, oder Enatsu trug das falsche Trikot, oder es wurde seine weitere Vereinslaufbahn erwähnt. Es stellte sich heraus, dass die älteren Karten mit Schwarz-Weiß-Foto, die der Professor besaß, kostbare Raritäten und deshalb ziemlich teuer waren. Wenn sich am Ende unsere Finger in der Mitte der Schachteln trafen, mussten wir enttäuscht feststellen, dass unsere Suche einmal mehr erfolglos geblieben war.
Wir verbrachten Stunden bei den verschiedenen Händlern, ohne auch nur einen Yen auszugeben. Zum Glück waren sie nie enttäuscht – ganz im Gegenteil: Wenn wir erklärten, dass wir Enatsu-Karten suchten, halfen sie uns, die Bestände zu durchforsten, und wenn wir nichts fanden, sagten sie uns, bei welchen Händlern wir sonst noch forschen konnten. Bei der letzten Adresse auf unserer Liste gab uns der Händler einen wertvollen Hinweis.
Er empfahl uns, nach Karten Ausschau zu halten, die 1985 von einem Süßwarenhersteller als Schokoladenbeigabe in Umlauf gebracht worden waren. Die Schokolade enthielt zwar immer irgendwelche Baseballkarten, aber 1985 gab die Firma anlässlich ihres fünfzigjährigen Bestehens eine Sonderedition von Premiumkarten heraus. Noch dazu hatten die Hanshin Tigers in jenem Jahr die Meisterschaft gewonnen, sodass die Spieler dieser Mannschaft besonders häufig vertreten waren.
»Was sind denn Premiumkarten?« fragte Root.
»Das kann alles Mögliche sein – manche sind von den Spielern persönlich signiert, bei manchen sind Hologramme eingearbeitet oder Splitter eines Baseballschlägers, den ein Spieler tatsächlich benutzt hat. Da Enatsu 1985 bereits zurückgetreten war, wurde eine Neuauflage der
Glovecard
veröffentlicht. Ich hatte mal welche da, aber die waren in null Komma nichts weg, so begehrt sind die.«
»Und was ist eine
Glovecard
?« fragte Root weiter.
»Dafür wird ein Baseballhandschuh zerschnitten, um die kleinen Lederteilchen auf die Karten zu applizieren.«
»Und mit dem Handschuh hat Enatsu tatsächlich gespielt?«
»Natürlich. Sie sind vom Japanischen Verband zertifiziert, also kein Schwindel. Die Auflage ist natürlich streng limitiert, deshalb findet man nur selten welche. Aber Sie sollten die Hoffnung nicht aufgeben. Irgendwo lässt sich bestimmt eine auftreiben. Falls ich eine finde, rufe ich Sie an. Ich bin ja selbst auch ein Enatsu-Fan.«
Der Händler lüftete Roots Baseballkappe und strich ihm über den Kopf. Es war die gleiche Geste, die wir vom Professor kannten.
Der 11. September rückte näher. Ich hätte mich längst nach einem anderen Geschenk umgesehen, aber Root wollte nichts davon wissen. Er wollte die Baseballkarte – und sonst nichts.
»Wir dürfen jetzt nicht aufgeben«, sagte er immer wieder.
Zweifellos wollte er dem Professor eine Freude machen, aber es war nicht von der Hand zu weisen, dass er selbst Gefallen an der Idee des Kartensammelns gefunden hatte. Er fühlte sich wie ein Abenteurer auf der Suche nach einem lang verschollenen Schatz.
Der Professor schaute immer wieder prüfend zum Kalender. Manchmal trat er
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