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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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häuten.«
    »Ich habe es nicht gehäutet!«, protestierte ich. Keine der beiden würdigte mich eines Blicks.
    Die Gouvernante legte die Hand auf Großmutters Unterarm. »Machen Sie sich deshalb keine Gedanken, Mrs White. Sagen Sie mir einfach, was ich tun kann.«
    Großmutter nickte. Vermutlich war sie erleichtert, dass die Gouvernante so pragmatisch reagierte. »Wenn Sie es ertragen können, wäre es mir lieb, Sie würden hierbleiben, Miss Skerry, und die Aufsicht übernehmen. Das wäre der größte Dienst, den Sie uns erweisen könnten, während ich mich um Laure kümmere.«
    Dann wandte sich Großmutter an mich. »Und du, junge Dame, wirst das hier beseitigen, und zwar gründlich.« Durch die Empörung war das Blut in ihre Wangen zurückgekehrt. Ausnahmsweise war ich fast froh, dass sie wütend war. »Miss Skerry wird hierbleiben, aber erwarte nicht, dass sie dir hilft. Das hast du angerichtet, Agnes White, und du wirst es auch wieder in Ordnung bringen. Der Kadaver wird vergraben. Außerdem will ich, dass keine Spur von Eichhörnchenblut mehr zu sehen ist. Und«, fuhr sie fort, während sie sich zum ersten Mal richtig umsah und meine anatomische Sammlung musterte, »dieses ganze tote Zeug verschwindet aus der Scheu ne.« Sie verstummte, als ihr Blick auf das Beck-Mikroskop fiel, das neben mir im Stroh stand. »Und das da ist entwendetes Eigentum. Gehe ich recht in der Annahme, dass es deinem Vater gehört hat?« Sie starrte mich eisig an, und ihr Kinn zitterte leicht. »Es ist nicht zu glauben, dass du es einfach gestohlen und so lange hier versteckt hast.«
    Damit verschwand sie, nahm aber drei leere Marmeladengläser mit. Miss Skerry setzte ihre Brille ab, wodurch ihre kleinen Maulwurfsaugen sichtbar wurden. »Aha«, sagte sie, »das ist ja wirklich eine Überraschung.«
    Sie trat dicht an das Mikroskop heran und ging in die Hocke. »Das ist von deinem Vater, hast du gesagt?«
    Ich antwortete nicht. Gesagt hatte es meine Großmutter, und selbst wenn es stimmte, hatte ich doch nicht das Gefühl, irgendjemandem eine Erklärung schuldig zu sein, schon gar nicht dieser Gouvernante.
    »Ich nehme dein Schweigen als Bestätigung«, bemerkte sie.
    »Ich hab’s aber nicht gestohlen«, murmelte ich schließlich. »Das Gerät steht mir rechtmäßig zu.«
    Sie sah mich an. »Dein Vater war Arzt?«
    Ich nickte.
    Die Gouvernante schien nicht böse, also sagte ich, um das heimliche Vergnügen, über meinen Vater zu sprechen, noch ein bisschen auszukosten: »Ja, aber kein einfacher Landarzt. Mein Vater hat an der McGill-Universität gearbeitet. Sein Spezialgebiet war pathologische Anatomie.« Ich sah Miss Skerry an und hoffte, dass sie beeindruckt war.
    »Pathologische Anatomie«, sagte sie. »Das klingt ja schaurig.«
    »Pathologisch heißt krankhaft«, sagte ich. Ich hatte im Wörterbuch nachgeschaut, als ich in Zusammenhang mit meinem Vater auf dieses Wort gestoßen war. »Es kommt vom griechischen pathos .« Ich gab jetzt an und demonstrierte, wie gescheit ich war, um die Gouvernante indirekt in ihre Schranken zu weisen.
    Man musste ihr zugutehalten, dass sie nicht darauf einging. »Er hat also krankhafte anatomische Erscheinungen untersucht?«
    »Genau.«
    »Unter dem Mikroskop?«, fragte sie und beugte sich vor, um das schlanke Beck-Gerät meines Vaters genauer zu betrachten. »Darf ich?«
    Ich nickte. Ich hatte es noch nie jemandem gezeigt. Besitzerstolz ergriff mich. »Möchten Sie sehen, wie das geht?« Ich packte das Mikroskop am dreigezackten Fuß und stellte es auf den Arbeitstisch. »Es ist gar nicht so schwer zu bedienen, wenn man den Bogen einmal raushat.«
    »Du kannst damit umgehen?«
    »Ja, klar.« Ich zeigte ihr, wie man das Auge an die Augenmuschel presste, und erklärte ihr das mit den Glasplättchen und dem Knopf zum Scharfstellen.
    »Hat dir dein Vater das alles beigebracht?«
    »Nicht direkt. Er hat sich nicht mit mir hingesetzt und es mir vorgemacht, so wie ich jetzt gerade mit Ihnen. Ich war fünf, als er weggegangen ist.«
    Das weckte Miss Skerrys Interesse. »Du kannst es dir doch nicht alles gemerkt haben, Agnes. Mit fünf Jahren – unmöglich. Das ist ein hochkomplexes Gerät. Du kannst dir nicht allein zusammengereimt haben, wie man das Mikroskop und die Glasplättchen benutzt und wie man all diese Dinge sammelt und in Glasgefäßen aufbewahrt.«
    Ich hatte noch nie darüber nachgedacht. Als ich mir den Sektionsraum in der Scheune meiner Großmutter einrichtete, war ich elf und eine absolute

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