Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
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Ich lernte Liz, meine kleine Lisbeth, an ihrem siebenten Geburtstag im April kennen. So deutlich erinnere ich mich alles dessen, was an diesem Tage geschah, als wäre es erst gestern gewesen.
Ich hatte dreihundert Kronen in der Tasche. Eine Übersetzung, die ich für meinen Verleger, Herrn Rambech, angefertigt hatte, war geprüft und für gut befunden worden. Soeben hatte ich das Honorar dafür erhalten. Das mußte unbedingt gefeiert werden. Sollte ich meine Kusine Anne-Grete einladen und ihr sagen, sie möchte einen oder zwei ihrer Freunde mitbringen? Zu einem gemütlichen Abend in meiner höchst modern eingerichteten Zweizimmerwohnung? Mit einem tüchtigen Feuer im Kamin, auserlesenen Speisen, starkem Kaffee und einem Glase Wein? Oder sollte ich lieber meine Schreibmaschine wegpacken, die Wohnung abschließen und auf eine Woche verreisen? In meiner Kindheit war ich viel in der Welt herumgekommen. Man Vater war Gesandtschaftssekretär und hatte, wie es sein Beruf mit sich brachte, sehr häufig den Wohnsitz gewechselt. Und da er mich seit dem Tode meiner Mutter – und das heißt seit dem Tage meiner Geburt – ständig hatte bei sich haben wollen, so hatte auch ich ein sehr unruhiges Leben geführt. Ich hatte die verschiedensten Schulen besucht: immer nur auf kurze Zeit, aber doch lange genug, um mir, ohne eigentlich zu wissen wie, außer meiner Muttersprache die wichtigsten Weltsprachen und noch einige weniger wichtige Sprachen aneignen zu können. Ich war auf holländischen Kanälen Schlittschuh gelaufen, hatte meinem Erzfeind, dem kleinen schwarzhaarigen und dunkelhäutigen Pedro in Madrid, faule Apfelsinen an den Kopf geworfen und war mit der kleinen Tochter des Gesandtschaftsrats auf den schattigen Wegen des Bois de Boulogne zu Paris in einem Ponywagen spazierengefahren.
Kurz vor meinem einundzwanzigsten Geburtstag war mein Vater auf dem Schiff, das uns von Lissabon nach Norwegen brachte, gestorben. Seither hatte ich, mündig geworden, für mich selber sorgen müssen. Aber etwas von der Unruhe jener Jahre spürte ich noch immer in meinem Blut, und an ein genau geregeltes, wenig abwechslungsreiches Leben hatte ich mich noch nicht so recht gewöhnen können. War es daher nicht das beste, wenn ich das Honorar, das ich soeben erhalten hatte, dazu benutzte, endlich einmal wieder eine kleine Reise zu machen?
Zunächst jedenfalls tat ich, was neunundneunzig von hundert Frauen an meiner Stelle ebenfalls getan haben würden: Ich kaufte mir einen neuen Hut. Und wenn es etwas gibt, was eine Frau in eine gehobene Stimmung zu versetzen vermag, so ist es die Überzeugung, bei einem Hutkauf das Richtige gefunden zu haben. Diesmal hatte ich das Richtige gefunden.
Als ich dann nur wenig später mit dem neuen Hut auf dem Kopfe auf die Straße trat, hatte ich jenes angenehme Gefühl, das sich einzustellen pflegt, wenn man gut und geschmackvoll angezogen ist. Natürlich mußte ich mich in einem Schaufensterspiegel betrachten. Es erwies sich, daß dieses Schaufenster zu einer Konditorei gehörte. Und als ich in den Spiegel blickte, sah ich, wie gerade eine große Ananastorte auf den Ladentisch gesetzt wurde. Ananas ist eines der Dinge auf dieser Welt, deren Lockung ich unmöglich widerstehen kann.
Bald standen ein Kännchen Kaffee und ein großes Stück Ananastorte vor mir, und ich wollte mich eben dem Genüsse hingeben, als ich in meiner unmittelbaren Nähe eine Kinderstimme sagen hörte: „Vater! Der Hut der Dame da sieht genauso aus wie eine Bananenschale!“ Ich zuckte zusammen. Es war nicht der leiseste Zweifel möglich: Das Kind meinte mein soeben erworbenes neues Modell! Ich warf einen schnellen Blick in den Taschenspiegel. Er kleidete doch so gut, dieser flotte kleine Hut, der gewissermaßen nur den Mittelpunkt für den wogenden, flatternden schwarzen Schleier bildete! Und doch! Das Kind hatte recht! Der Hut hatte sowohl die Farbe wie auch die Form einer halben Bananenschale!
Glücklicherweise siegte mein Sinn für Humor. Dieses Kind mit dem scharfen Blick mußte ich mir doch einmal etwas genauer ansehen. Ich drehte mich also langsam um.
Es war ein kleines Mädchen mit einer abgetragenen, zu klein gewordenen Matrosenbluse, einem kurzen blauen Rock und Schuhen mit dicken Sohlen, die zur Schonung mit kleinen Eisenplatten benagelt waren. Etwas bleich war die Kleine, aber sie hatte ein lebhaftes Gesicht mit einer drolligen kleinen Stupsnase und funkelnden braunen Augen. Ihr Haar war halblang und
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