Das Geheimnis der Mangrovenbucht
dunklen Wimpern und einer unbestimmbaren Nase sowie einem Mund, der eigentlich zum Lachen bestimmt war, augenblicklich aber sehr zusammengekniffen wirkte. Doch immerhin war sie nicht der einzige Mensch, der ein Recht hatte, sich zu ärgern.
Pauline ging — wie üblich — sofort zum Angriff über. »Wieso sind Sie hier? Sie haben weder eine Vorliebe für Pferde noch fürs Reiten, stimmt’s?« Ihr Ton ließ klar erkennen, daß sie ihn für völlig unsportlich hielt. Er nahm den Fehdehandschuh an und antwortete ihr auf eine bösartige, überhebliche Art:
»Ich bin zweifellos kein sehr starker Mann. Ich suche mir meine Vergnügungen auf angenehme Art, zum Beispiel in einem bequemen Flugzeug. Ich bin nur kurz hierhergekommen, um meiner Gesundheit etwas Gutes zu tun.«
Er lachte sie an. Niemand konnte gesünder aussehen als er.
»Müssen Sie unbedingt scherzen? Sie sehen so gut aus; und selbst wenn Sie sich nicht wohl fühlen: Was hätte es für einen Sinn, ausgerechnet hierherzukommen, um unter Mangroven zu kampieren?«
»Unter Mangroven zu kampieren? Wie malerisch und gleichzeitig unheimlich. Aber ich erfreue mich tatsächlich eines ausgezeichneten Gesundheitszustandes, den Sie vermutlich als robust bezeichnen würden, abgesehen von der Tatsache, daß ich mir das Knie etwas verstaucht habe. Nicht sehr interessant, aber unangenehm.«
»Selbst wenn Sie sich das Knie verstaucht haben sollten — obwohl Sie ziemlich schnell durch den Raum gehopst sind — wofür soll dieser Ort gut sein? Ich habe noch nie gehört, daß es hier Mineralbäder gibt.«
»Zwar keine Mineralbäder, aber einen Heiler. Einen Mann, der mit kurzen, gefärbten Fäden arbeitet und dieses Zeug mittels Beschwörungen beeinflußt. David hat Ihnen doch ganz bestimmt von ihm erzählt?«
Sie erinnerte sich vage, daß David ihr einmal gesagt hatte, »dort treiben sich seltsame Gestalten umher. Es gibt zum Beispiel einen Kerl, von dem gesagt wird, daß er manchmal wunderbare Heilungen vollbringt.« Das mußte auch wohl der Mann sein, den Dibble als Hexendoktor bezeichnet hatte.
»Ja, ich glaube, David hat von ihm gesprochen. Aber Sie werden sich doch nicht einbilden, daß er bei einem verstauchten Knie helfen kann? Was soll denn dieser Unsinn, wo es genügend gute Ärzte gibt?«
»Mit reizenden Sprechstundenhilfen. Was habe ich doch für Chancen verpaßt. Aber jetzt ist die Reihe an mir, Fragen zu stellen. Was hat denn Sie hierhergeführt? Ich nehme an, Sie sind nicht allein?«
»Natürlich bin ich allein. Das ist der Grund, warum ich hergekommen bin — um allein zu sein.« Dann errötete sie vor Ärger und sagte etwas hastig: »Was glauben Sie denn? Hatten Sie angenommen, daß Lionel hier wäre und daß dies eine geheime Hochzeitsreise wäre?«
Nach diesen Worten war ihr klar, daß sie sich in Wut geredet hatte. Bereits die Erwähnung des Namens Lionel genügte. Sie starrte Anthony an, der keineswegs beunruhigt war, sondern sehr sanft antwortete: »Ihre Idee, meine liebe Dame, nicht die meine. Aber ich muß gestehen, daß ich es aufgrund meines mir angeborenen Gefühles von Ritterlichkeit etwas merkwürdig finde, daß ein Mann seine Braut allein hierherfahren läßt.«
»Dann darf ich Ihnen nochmals erklären, daß ich allein bin, daß ich Lionel nirgends versteckt halte und daß ich nicht mit ihm verlobt bin.«
Er zog spöttisch die Augenbrauen hoch und sagte: »Verzeihung. Ich hatte gehört, daß eine Verlobung stattgefunden hätte und daß eine Hochzeit bevorstünde.«
Wie zynisch und hassenswert er doch war! Sie sagte: »Die steht eben nicht bevor. Seit gestern abend bin ich nämlich nicht mehr verlobt.« Bei diesen Worten fiel ihr wieder die gestrige Demütigung ein, und es traten ihr Tränen in die Augen, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie so hungrig und müde war. Noch verärgerter als zuvor sagte sie: »So ist das. Aber das Wichtigste ist jetzt, wohin gehen wir nun? Das Boot, in dem ich kam, ist schon wieder fort, und in der Dunkelheit kann ich nicht durch die Bucht zurückfinden. Übrigens, wie und wann sind Sie eigentlich hierhergekommen? Dieser alte Trottel hat nichts gesagt, daß er auch noch einen anderen Passagier hergebracht hat.«
»Hat er auch nicht. Ich kam mit meinem Wagen, den ich auf der Straße parkte, und bei Ebbe spazierte ich zu Fuß herüber. Das ist zwar möglich, aber nicht sehr lustig. Und jetzt? Na ja, da unten gibt es ein Bootshaus. Nicht gerade sehr komfortabel, aber vermutlich bewohnbar, und die einzige
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