Das Geheimnis der Mangrovenbucht
1. Kapitel
Vor dem schäbigen Hotel stieg Pauline Marshall aus dem Bus und stand zitternd im Freien. Es war ein düsterer, typischer Wintertag. Der Himmel hing grau und tief über der engen Willesden Street, durch die der Wind heftig blies. Das größte Hotel dieser kleinen Stadtgemeinde wirkte düster und unansehnlich. Am Ende der Straße erblickte sie einen Ausschnitt des öligen Meeres, über dem traurig einige Möwen kreisten. Warum war sie nur an diesen gottverlassenen Ort gekommen?
Sie sagte sich, daß die Antwort auf diese Frage eigentlich sehr einfach war. Ihr Verlobter hatte sie sitzengelassen, und jetzt wollte sie möglichst allein sein. So hatte sie schnell einige Kleidungsstücke in einen Koffer geworfen und gerade noch den Willesden-Bus erreicht. Sie war dankbar, daß der Arzt, für den sie arbeitete, am Vortag zu einer wichtigen Konferenz verreisen mußte und sie gebeten hatte, eine Woche Urlaub zu machen.
Aber noch dankbarer war sie dafür, daß es einen Ort gab, an den sie gehen konnte, und wo sie niemand belästigen würde. Sie dachte dabei an eine kleine Hütte ihres Bruders, die ungefähr hundert Meilen von der Stadt entfernt lag. Sie war zwar noch nie dagewesen, wußte aber, daß es dort sehr einsam war.
»Ziemlich unheimlich und bestimmt nicht ganz nach deinem Geschmack, meine Liebe, aber du kannst hinkommen, wann immer du willst«, hatte David ihr versichert. »Man muß schon ein eingefleischter Fischer sein und eine Vorliebe für seltsame Orte besitzen, um sich dort wohl zu fühlen. Man kann nichts anderes tun, als zu fischen, wenn die Gezeiten günstig sind, oder zu reiten, wenn sie ungünstig sind.«
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der sie geglaubt hatte, daß sich David von diesen einsamen Orten auch nicht sehr angezogen fühlte; aber er schien sich in letzter Zeit ziemlich verändert zu haben, er war ruhiger und ernster geworden. Er war immer schon ein begeisterter Reiter und Fischer gewesen; aus diesem Grunde hatte er vermutlich auch diese fünf Acker Land mit Hütte in einem Küstengebiet gekauft. Er hatte ihr erzählt, daß er zwar kein Pferd besäße, aber mit einem benachbarten Bauern vereinbart habe, eines seiner Pferde benützen zu dürfen, die dafür auf seinem Grundstück grasen konnten.
»Das ist für uns beide angenehm. Bob Walker ist versessen auf Pferde, und dieses braucht er gerade nicht. Na ja, und so springt Joe eben munter auf meiner Wiese herum, und ich reite ihn, wenn ich gerade da bin.«
Pauline war das alles ziemlich merkwürdig erschienen, aber andererseits war David ein etwas eigenwilliger Mensch, und sie hatte ihn noch nie ganz verstanden. Sie waren sehr gute Freunde, wohnten aber nicht zusammen, da David als Inspektor sehr viel unterwegs war und weil jeder es vorzog, seine eigenen Wege zu gehen. Pauline war viel geselliger. Sie arbeitete als Sprechstundenhilfe bei einem bekannten Arzt in der Stadt. Beide waren der Meinung, daß ihre Freundschaft besser gedeihen würde, wenn sie nicht zusammenlebten; und bisher hatte sich dieses Übereinkommen als richtig erwiesen.
Aber was Davids Vorliebe für Willesden anging, so war sie nicht seiner Meinung. Warum nur hatte er so einen düsteren und traurigen Ort gewählt? Sicherlich, seine Hütte lag zwar nicht mitten in der Stadt, sondern einige Meilen außerhalb, und sie gab auch zu, daß sie Willesden unter den schlechtesten Bedingungen gesehen hatte, an einem vor Nässe triefenden, deprimierenden Tag, der genau zu ihren brütenden Gedanken paßte.
Sie betrat das Hotel, wo sie von Fred Lloyd, dem Wirt, begrüßt wurde. Natürlich könnte sie eine Tasse Tee bekommen, wenn sie etwas warten wollte. Durch diese Aussicht ermutigt, erklärte ihm Pauline ihr Reiseziel. Sie fragte ihn, ob er David Marshalls Hütte kannte und wie sie am besten dorthin gelangen könnte.
»Hm, ein bißchen schwierig. Bei Ebbe ist es kein Problem. Da können Sie bis zum Ende der Straße fahren, den Wagen dort parken und zu Fuß die Weide überqueren. Dann müssen sie durch die Bucht, obwohl es dort ziemlich schmutzig ist. Aber jetzt kommt gerade die Flut und... halt, warten Sie einen Moment. Bob Walker ist hier, schon den ganzen Tag. Er wartet, bis sein Wagen fertig ist. Er bewirtschaftet das Land, das in der Nähe der Hütte Ihres Bruders liegt. Er könnte Sie mitnehmen und Ihnen den Weg zeigen. Die andere Möglichkeit wäre das Boot des alten Dibble.«
»Walker? Das ist doch der Mann, dessen Pferd mein Bruder reitet. Fährt er heute
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