Das Geheimnis der Perle
griff nach seiner Hand und schloss seine schmutzigen Finger um die Brosche. „Bringen Sie sie zu einem guten Juwelier.“
Fasziniert starrte er das Schmuckstück an, während sie sich abwandte. Sein Gesichtsausdruck verfolgte sie immer noch, als sie das Bürogebäude betrat und über den schwarzweißen Marmorboden zum Aufzug ging. Im Lift schloss sie die Augen.
Es überraschte sie nicht, dass sie gerade an diesem Tag von Panik erfüllt war. Schließlich war es Juni. Der Monat, in dem ihr geliebter Sohn seinem Vater Cullen Llewellyn gehörte. Wahrscheinlich war Matthew bereits auf dem LaGuardia Airport in New York gelandet und herzlich von Cullen empfangen worden.
Seit Wochen sprach Matthew von nichts anderem, als wieder bei seinem Vater zu sein. Sie würden eine Campingtourzu den White Mountains machen, dann weiter zur Küste nach Maine, wo Cullen ein Boot und eine einfache Fischerhütte gemietet hatte. Cullen, der im australischen Outback mit Kängurumilch und Wasserbüffelfleisch aufgezogen worden war. Cullen, halb Mad Max, halb Crocodile Dundee. Er wollte aus ihrem gemeinsamen Sohn einen richtigen Mann machen.
Mit seinen vierzehn Jahren war Matthew dafür zwar eigentlich im richtigen Alter, aber er war immer noch so empfindsam wie ein Kind. Er war ein breitschultriger Junge mit einem großen Herzen – und Lianas Ein und Alles. Obwohl nichts darauf hindeutete, dass er seinem Vater den Vorzug geben würde, hatte sie jedes Jahr im Juni Angst, er würde nie wieder zurückkehren.
Wie sollte es auch anders sein, wenn Cullen Llewellyn im Spiel war? Vor einem Jahrhundert hätte einer seiner Vorfahren beinahe die Robesons zerstört. Und vor zehn Jahren hätte Cullen beinahe sie zerstört.
Liana sank gegen die Holztäfelung und bedeckte ihre Augen. Sie sagte sich, dass sie in diesem Gebäude, in ihrem zweiten Zuhause, sicher sei. Und dass Matthew selbstverständlich wiederkommen würde.
Alles war in Ordnung.
Die vertraute Umgebung wirkte beruhigend auf sie. Auch wenn ihre Gedanken sich noch überschlugen, konnte sie allmählich vernünftiger denken. Und als sie im obersten Stock aus dem Aufzug trat, hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Mit gestrafften Schultern und erhobenem Kopf ging sie durch den Flur.
„Liana?“
Frank Fong, der Marketingdirektor, kam ihr entgegen. „Dein Ex hat angerufen. Zwei Mal.“
Liana behielt ihren Schritt bei. Sie nickte ihrem Stiefbruder Graham Wesley zu, Generaldirektor von Pacific International, der sich gerade im Flur vor seinem Büro mit einemAngestellten unterhielt. Er nickte ihr ebenfalls zu, doch ihre ernste Miene hielt ihn davon ab, zu ihr zu gehen. Ihre Sekretärin Carol, eine junge Frau, die schnell gekränkt war, sah sie erst gar nicht an, als sie an ihrem Schreibtisch vorbeiging.
Liana wartete, bis sie die Tür in ihrem Büro hinter sich geschlossen hatte, ehe sie Frank ansah. „Er klang sauer“, sagte Frank. „Carol hat ihn zu mir durchgestellt.“
„Das sind doch nur die üblichen Spielchen, Frank“, winkte Liana ab. „Cullen ruft an und sagt mir, dass Matthew gut angekommen ist, um mich dann mit Vorwürfen zu überhäufen. Zum Beispiel, dass ich die falschen Sachen eingepackt oder den Rückflug nicht richtig organisiert habe …“
„Es klang aber nach mehr als nur einer Kleinigkeit.“
„Cullen ist nicht in der Lage, seine Gefühle im Zaum zu halten“, entgegnete Liana scharf. „Deshalb war er während unserer Ehe einfach unglaublich im Bett. Den Rest des Tages war er allerdings ein kompletter Reinfall. Ich hätte mich nicht so schnell von ihm scheiden lassen, Schätzchen! Verglichen mit den meisten anderen Männern ist er ihnen zumindest im ersten Punkt einen wesentlichen Schritt voraus.“
Liana lehnte sich gegen die Schreibtischkante. Nur zögernd erwiderte sie Franks Lächeln. Frank und sie waren entfernt verwandt, ohne dass eine Ähnlichkeit erkennbar gewesen wäre.
Frank, hundertfünfzig Pfund Muskeln, war schnell mit einem Lächeln zur Hand, das genauso ansprechend wirkte wie die Straßen von Chinatown, wo er aufgewachsen war. Liana hingegen war zierlich gebaut und etwa eins fünfzig groß. Doch ihre schräg stehenden dunklen Augen und die leicht getönte Haut deuteten darauf hin, dass auch sie asiatische Wurzeln hatte.
Hastig warf sie einen Blick auf ihre Cartier-Uhr. „Hat Cullen gesagt, ob Matthew rechtzeitig angekommen ist? Ich habe nämlich gehört, dass es über den Rockies einen Sturm gegebenhaben soll. Außerdem musste er in
Weitere Kostenlose Bücher