Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
Melissa, meine Melissa, mehr nicht.« Beide schwiegen eine Zeitlang, dann nahm Pater Filippo dem Fremden die kleine Tasche aus der Umklammerung seiner Hände. Ohne jegliche Erklärung barg er die Ledertasche in seinem Habit.
»Kennt Ihr diesen Mann?«, brach der Fischer die bedrückende Stille in der Hütte.
Pater Filippo konnte nicht widerstehen und antwortete mit wichtiger Miene:
»Ja, ich kenne diesen Mann. Das ist Michelangelo Merisi. Man nennt ihn auch Caravaggio!«
Vier Wochen später in Rom
»Und Ihr seid ganz sicher, dass es Caravaggio war, Pater?«
»Ja, Eminenz«, antwortete Pater Filippo. »Wir haben ihn in der Pfarrkirche Sant’Erasmo bestattet. Das Grab wurde nicht gekennzeichnet.«
Zufrieden nickte der Mann im Ornat eines Kardinals.
»Und Caravaggio hat nur dieses Büchlein hinterlassen?« »Nur das Buch war in seiner Tasche, Eminenz!«
»Das hilft uns nicht wirklich weiter. Habt Ihr sonst noch irgendetwas von ihm gefunden, eine Spur seines letzten Aufenthaltes, seine persönlichen Sachen?«
Der Pater verneinte beflissen.
»Nein, Eminenz, nichts dergleichen.«
»Das ist bedauerlich, Pater Filippo, sehr bedauerlich«, murmelte der Kardinal. »Dann haben wir nichts als dieses kleine Büchlein, wohl sein Skizzenbuch. Auf den ersten Blick kann ich nichts Ungewöhnliches darin finden.«
Warum nur hatte Caravaggio sich so daran geklammert, was war für den Maler an diesen harmlosen Skizzen so bedeutend, dass er es bis zuletzt mit sich führte, dachte der Kardinal bei sich.
»Habt Dank, Bruder in Christo. Ihr dürft jetzt gehen. Und solltet Ihr noch irgendetwas Wichtiges über Caravaggios letzten Aufenthalt in Erfahrung bringen, dann lasst es mich wissen«, verabschiedete er Pater Filippo.
Nachdenklich blieb der Kardinal in seinem Bureau im Heiligen Offizium sitzen, betrachtete wieder und wieder das kleine abgegriffene Skizzenbuch des Malers, das ihm der Pater überbracht hatte. Selbst über den Tod hinaus verstand es dieser verruchte Künstler, seine schmutzigen Geheimnisse zu wahren und die heilige Institution der Kirche zu verhöhnen. Huren dienten ihm als Modelle für die Darstellung heiliger Frauen, desgleichen Lustknaben für die Darstellung von Engeln und heiligen Männern. Immer wieder hatte Caravaggio es verstanden, die Kirche zu verspotten. Doch warum? War er nur ein Narr, ein Taugenichts oder gar ein Häretiker? Einer von denen, die von der Kirche wegen Häresie, Blasphemie und Teufelsanbetung einst scharf verfolgt wurden? Wahrscheinlich verehrte er Maria Magdalena als Heilige noch mehr als die Gottesmutter Maria selbst, so wie diese Ketzer, die diese Hure als wahre Mutter der Kirche Christi bezeichneten. Der Kirchenmann war erfüllt von heiligem Zorn, doch noch mehr war er völlig ratlos. Fragen über Fragen! Wieder eine Akte, die in den geheimen Archiven des Vatikans verschwinden würde? Ohne, dass man der Ketzer und ihrer Unterstützer habhaft werden würde? Nein, er, Pompeio Kardinal Arrigoni, würde dafür sorgen, dass die Feinde der einzigen wahren Lehre Christi eliminiert würden!
Kapitel 3
Nichts als die Wahrheit – Bonn, Mai a.d. 1626
Matthias Liebknecht saß wartend auf einem schlichten, mit Leder bezogenen Stuhl vor dem Audienzzimmer des Churfürsten im Bureau des churfürstlichen Sekretärs Johann Schilling. Schilling war schon vor geraumer Zeit im Audienzzimmer verschwunden, um Matthias anzumelden, der ungeduldig mit den Fingern auf seinem Knie trommelte und sich mehrmals mit der anderen Hand durch die lockigen Haare fuhr. Zwischen den blonden Locken stachen immer mehr silbrig graue Fäden hervor, ein Zeichen dafür, dass der Advocatus, wie ihn viele nannten, den Zenit seiner Jugend längst überschritten hatte und sich in einem reifen Mannesalter befand. Trotz eines leichten Bauchansatzes wirkte er nicht behäbig, nicht wie ein Federfuchser, wie man im Volksmund die pedantischen Bureaukraten am Hofe zu nennen pflegte, sondern aufgrund seiner gut ausgebildeten Muskulatur eher athletisch. Schilling, der Sekretär des Kurfürsten, war ein klassisches Beispiel eines Federfuchsers, hoch gewachsen, hager und mehr als penibel, was die Erfüllung seiner ihm übertragenen Aufgaben anbetraf. Aber vielleicht musste er auch als Sekretär des Kurfürsten so sein.
»Warum dauert das denn so lange?«, murmelte der Advocatus vor sich hin. Ungeduldig erhob sich Matthias von seinem Stuhl, als sich die Tür öffnete und Schilling heraus kam.
»Ihr dürft jetzt eintreten,
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