Das Geheimnis Des Amuletts
Jahren mit kurzgeschnittenen blonden Haaren und einem ausdrucksvollen Gesicht wie das einer Künstlerin stand vor uns. Nur der Glanz in ihren Augen war noch der gleiche. Sie lächelte über unsere Verblüffung. »Dies ist mein neues Leben auf der Erde. Dies sind die Kleider, die ich im Augenblick trage, und sie werden genauso brauchbar sein wie alle anderen. Ihr könnt mich weiterhin Miss Scratton nennen, wenn ihr möchtet. Es ist mir erlaubt, wieder mit euch zusammen zu sein, bis der Morgen anbricht.« Sie wandte sich an Helen und sagte sanft: »Du hast mich aus einem bestimmten Grund gerufen. Bist du bereit für diese letzte Aufgabe?«
Helen nickte. »Ja, ich bin bereit. Velvet ist jetzt diejenige, um die es geht. Sie ist todkrank.«
Miss Scratton seufzte. »Dr. Franzen war tatsächlich ein Zauberer von einiger Macht, wie er behauptet hat. Er hat Velvet mit einem uralten Bann belegt. Ihre Lebenskraft schwindet immer weiter, während wir uns unterhalten.«
»Was können wir tun?«, fragte Helen.
»Schafft sie zur Ruine der Kapelle.«
Cal und Josh hoben Velvet gemeinsam auf, und Miss Scratton ging voran, verließ das Gebäude und trat ins Freie. Vor der Schule befanden sich immer noch kleine Gruppen von Schülerinnen, und Lehrerinnen liefen herum. Krankenwagen und Feuerwehr und Polizeiautos unterstrichen noch den unwirklichen Charakter der ganzen Szenerie, während Leute zur Behandlung weggeschafft wurden oder Augenzeugenberichte über das abgaben, was geschehen war. Aber wir hatten mit alldem nichts zu tun. Unbemerkt begaben wir uns zum rückwärtigen Teil der Schule, vorbei an der Terrasse und hinunter zum See und zur verlassenen Ruine. Als wir unter die zerbröckelnden Torbogen der alten Kapelle traten, wurden der Lärm und die Geschäftigkeit, die aus der Ferne zu hören waren, plötzlich abgeschnitten, als hätten wir eine andere Welt betreten.
Die Jungen legten Velvet sanft auf den grünen Erdhügel, der den Altar bildete. Die Narben, die das unheilige Eindringen der Priesterin an diesem Ort verursacht hatte, waren inzwischen verheilt. Velvet schien friedlich zu schlafen, als die Jungen ein paar Schritte zurücktraten. Miss Scratton blickte ernst drein. »Velvet ist weit in die Dunkelheit geschritten. Wir haben vielleicht noch eine kurze Stunde, um ihr zu helfen. Wenn sie stirbt, wird die Priesterin in dieser Nacht einen großen Sieg errungen haben. Sie und Dr. Franzen haben bereits ein anderes unschuldiges Leben beansprucht – Mr. Brooke. Und wir sollten auch Rowena Dalrymple und die übrigen gefallenen Schwestern betrauern. Sie sind nicht als das geboren worden, als das sie gestorben sind. Sie alle waren einmal unschuldig.«
Ich sah erschüttert auf. »Mr. Brooke … das hatte ich nicht gewusst.«
Miss Scratton nickte leicht. »Er war mutiger, als ihr ahnt. John Brooke war Celia Hartles Bruder und hatte ihre teuflischen Wege schon seit langem geahnt, auch wenn es ihn schmerzte, sich das einzugestehen. Er war Wyldcliffe ein treuer Freund. Als sie noch gelebt hat, hat er sich alle Mühe gegeben, sie zu zügeln, obwohl sie ihn verachtet hat. Es hat sie amüsiert, ihn hierzubehalten und ihre Macht im Vergleich zu seiner Schwäche nur noch umso deutlicher zur Schau zu stellen. Er hat versucht zu helfen, aber letztlich war sie zu stark für ihn.«
» Velvet darf nicht sterben!«, sagte Helen plötzlich überraschend heftig. »Sonst werden die Leute genau das über uns sagen. ›Oh, sie haben versucht zu helfen, aber Celia Hartle war letztlich zu stark.‹ Es tut mir leid, was mit dem armen Mr. Brooke passiert ist, aber Velvet soll nicht den gleichen Preis zahlen müssen. Sie ist noch nicht bereit. Und wenn sie auch die ganze Zeit so hart und gleichgültig getan hat, war sie einfach nur verloren. Heute Nacht hat sie gezeigt, dass sie ein tapferes Herz hat. Velvet sollte leben, um zu erfahren, dass wir ihr dankbar für das sind, was sie für uns getan hat, und dass sie jetzt unsere Schwester ist. Und da ist noch etwas.« Helen holte tief Luft. »Sie muss wissen, dass ihre Mutter sie liebt, trotz der Streitereien und Eifersüchteleien, die zwischen ihnen entstanden sind. Sie müssen die Chance haben, einander erneut zu finden. Velvets Mutter hat schon eine Tochter verloren; wir können nicht zulassen, das sie auch noch Velvet verliert. Ich hatte anfangs Angst vor Velvet, aber ich sehe jetzt, dass sie eine dunkle Rose ist, wunderschön und wild, und sie verdient es zu erblühen. Sie verdient es zu
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