Das Geheimnis Des Frühlings
Aber der Doge war noch nicht fertig. »Ihr bleibt, Signore Medici«, sagte er, ohne von seinen Papieren aufzublicken. Lorenzo blickte sich nicht um, sondern blieb in der Mitte des Raumes stehen und wartete auf die Verkündung seines Schicksals. Wir anderen wagten kaum zu atmen.
»Was Euch angeht, Il Magnifico«, seine Stimme triefte vor Ironie, »so danke ich Euch, dass Ihr meiner Stadt einen Besuch abgestattet habt.« Er konnte sich nur mühsam davon abhalten, Lorenzo offen zu bezichtigen, der Kopf der Verschwörer zu sein. »Ich hoffe, das Wetter hat Euch die Zeit hier nicht verdorben. Aber wie ich sehe, hat der Frühling uns zu guter Letzt doch noch ein mildes, harmonisches Klima gebracht.« Er winkte träge in Richtung des Fensters, hinter dem der strahlend blaue Himmel schimmerte. »Ihr habt doch sicher nichts dagegen, unsere noch ausstehenden Schulden bei der Medici-Bank zu streichen, um Euch für meine Gastfreundschaft
erkenntlich zu zeigen. Wir wollen ja nicht, dass die Ereignisse der letzten Nacht öffentlich bekannt werden, nicht wahr? Und Geheimhaltung hat schon immer ihren Preis gehabt.«
Il Magnifico verzog das Gesicht, als habe ihm jemand einen verfaulten Fisch unter die Nase gehalten, nickte aber kanpp und sah dem jungen Dogen in die Augen.
»Die Zeit wird kommen, das wisst Ihr«, sagte er mit absoluter Überzeugung. »Eines Tages werden alle unsere Staaten vereint sein.«
»Möglich.« Doge Battista beugte sich vor. »Aber nicht zu meinen Lebzeiten, und ganz sicher nicht zu Euren .«
Es war die Verhöhnung eines älteren Mannes durch einen jüngeren. Lorenzo schien zu Stein zu erstarren, dann nahm er sich zusammen und verließ, gefolgt von seinen Mitverschwörern, hastig den Raum. Meine Mutter drehte sich an der Tür um und sandte einen flehenden Blick in meine Richtung.
Die Tür schloss sich hinter ihnen allen. »Signorina.« Der Doge wandte sich an mich und zog mich zu sich auf den scharlachroten Diwan hinunter. »Ihr habt dieser Stadt einen großen Dienst erwiesen. Ich stehe für immer in Eurer Schuld.« Er küsste meine Hand, dann forschte er in meinem Gesicht. »Ich hörte, dass Euer Freund tot ist. Es tut mir aufrichtig leid. Er war tapfer, treu und diente Gott. Nehmt Euch an ihm ein Beispiel, nicht an Eurer Familie. Erweist Euch als würdige Tochter Eurer Stadt, so wie ich hoffentlich ein würdiger Herrscher der meinen bin. Und jetzt geht zu Eurer Mutter.« Er widmete sich wieder seinen Papieren.
Ich gesellte mich zu den anderen, die im Empfangssaal auf die Kutschen warteten, die uns nach Hause bringen sollten. Ich setzte mich neben meine Mutter. Sie schob ihre Hand in die meine, und ich ließ sie gewähren. Dann musterte ich die im Raum versammelten Herrscher, vom Volk gewählt oder zur Macht geboren, und begriff schlagartig die Bedeutung von Bruder Guidos letztem Gebet. Der Herr wird die Spreu mit unlöschbarem Feuer verbrennen. Aber es war alles anders
gekommen. Der Weizen war verbrannt, die Spreu hingegen war unversehrt geblieben.
In diesem Moment begriff ich auch, dass Italien nicht durch Männer wie diese Größe erlangt hatte, sondern durch solche wie den, den ich verloren hatte.
Teil 10
PISA II
Juni 1482
1
Und so befand ich mich am Ende der Jahreszeit wieder in Bruder Guidos Stadt. Wieder stand ich auf dem Campo dei Miracoli, vor den Toren der großen weißen Kathedrale, und blickte auf das weiße Baptisterium und den weißen Turm, der sich zur Seite neigte, aber nicht umkippte. Aber heute passte ich farblich zu meiner Umgebung.
Es war mein Hochzeitstag.
Heute steckte kein Bild in meinem Mieder. Stattdessen hatte ich das grüne Glasmesser hineingeschoben - den Rand von der Flasche, in der ich als Säugling gelegen hatte. Scharf und gebogen wie eine Klaue erinnerte es mich daran, wo ich herkam, wo ich hinging und dass es immer einen Ausweg gab. Wenn Selbstmörder verdammt waren, dann sollte es so sein. Verdammnis konnte einem unglücklichen Eheleben durchaus vorzuziehen sein. Ich hatte in Ognissanti oft genug beim Schlachten der Lämmer zugesehen, um zu wissen, dass ich die Klinge hinter die Luftröhre stoßen musste. Das Blut würde den weißgoldenen Stoff meines Hochzeitskleides durchtränken - ein befriedigender Abgang, direkt vor dem Altar. Noch Jahre später würde man davon sprechen.
Meine Mutter riss mich aus meinen Gedanken. »Lass dich anschauen.« Sie sah in ihrem Lieblingsgrün prächtig aus und trug ihre goldene Löwinnenhalbmaske mit den hundert goldenen
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