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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Beppone konnte es nicht sein. Beppone war schon vor fünfzehn Jahren kein junger Hund mehr gewesen. Jetzt bleichten höchstens noch seine Knochen irgendwo. Und doch sah der Hund am Straßenbrunnen vor dem Palazzo Civico genauso aus wie Beppone damals. Die triefenden Augen, das struppelige braune Fell, der verstümmelte Schwanz.
    Matteo Vannoni stellte den Koffer auf der untersten Stufe der Treppe ab, die die Piazza mit dem oberen Teil des Dorfes verband. Es war totenstill. Der Hund war das erste lebende Wesen, das ihm in Montesecco begegnete. Dachten sie, daß er mit der Flinte unter dem Arm zurückkehren würde?
    »He, Beppone«, sagte Vannoni. Der Hund streckte sich, gähnte und trottete quer über die glühende Piazza davon.
    »Regel Nummer eins: Das Leben ist weitergegangen«, murmelte Vannoni.
    Die Mittagssonne sprengte den Himmel und drückte geballte Hitze auf die Dächer. Die Läden vor den Fenstern waren geschlossen. Vannoni hielt es für möglich, daß Augenpaare aus dem Halbdunkel durch die Lamellen blickten, aber er war sich nicht sicher. Lucarellis Haus schräg gegenüber war jetzt grau gestrichen. Vielleicht waren auch die Fenster neu. Der Hund kroch unter einen geparkten Wagen. Ein Volkswagen Golf. Vor fünfzehn Jahren gab es nur Fiats und Ape-Dreiräder im Dorf.
    Ein ausländisches Auto, eine andersfarbige Hauswand und ein fremder Hund, der aussah wie Beppone. Sonst war alles wie früher. Die Fassaden, das unregelmäßige Pflaster, die Bruchsteinmauer am Hang, die weißen Plastikstühleneben Lucarellis Haustür. Das blaue Tabacchi-Schild hing noch über der Tür von Rapanottis Laden, der schon vor Vannonis Zeiten aufgegeben worden war. Auch aus dem ehemaligen Waschhaus schräg darunter hatten sie nichts gemacht. Es mußte Jahrzehnte her sein, daß die Steinbecken zum letztenmal Wasser gesehen hatten. Selbst die Zeiger der Uhr am Palazzo Civico standen noch auf zwanzig nach acht.
    Vannoni war in Montesecco aufgewachsen. Er hatte lange genug darunter gelitten, wie das Leben hier lief, und doch war er wie selbstverständlich davon ausgegangen, daß sich alles verändert hatte. Nach fünfzehn Jahren! Aber sie hatten nicht einmal die defekte Uhr instand gesetzt!
    Vielleicht war das Leben gar nicht weitergegangen. Vielleicht war es einfach stehengeblieben und ...
    Unsinn, Maria war tot, Catia hatte vor einem Monat ihren siebzehnten Geburtstag gefeiert, und er hatte fünfzehn Jahre lang Zeit gehabt, sich Gedanken zu machen. Plötzlich war er sicher, daß es die falschen Gedanken gewesen waren.
    »Regel Nummer zwei: Nimm dich nicht so wichtig!« sagte sich Vannoni. Er hob den Koffer an, stieg die Treppe hoch, bog nach links, zwanzig Meter den steilen Fußweg hinauf. Vor seinem Haus standen noch die beiden großen Terrakottatöpfe. Der Oleander blühte rot. An der Haustür hing ein Zettel. Wir wußten nicht, ob du allein sein willst. Komm rüber, wenn du magst! Catia, Elena, Angelo.
    Vannoni drückte die Klinke herab. Die Tür sprang auf. Die Luft, die herausdrang, ließ ihn innehalten. Er hatte bei keinem Besuch seiner Schwester mit ihr darüber gesprochen, doch er war sicher, daß Elena regelmäßig gelüftet, Staub gewischt und die Spinnweben beseitigt hatte. Aus dem Haus roch es auch nicht muffig. Es roch nach gar nichts. Keine Spur von abgestandenem Rauch, von Essensdünsten, von Achselschweiß. Die Luft in seinem Haus war tot.
    Weg, nur weg hier, dachte etwas in Vannoni. Er mußte sich zwingen, den Koffer abzustellen. Seine Hand zitterte, als er den Griff losließ. Dann atmete er tief durch. Er hätte nicht hierher zurückkommen müssen, doch er hatte sich nun mal dafür entschieden. Jetzt war er da, und er würde eine Entscheidung, die in fünfzehn Jahren gereift war, nicht über den Haufen werfen, nur weil das Haus einen Geruch ausströmte, der ihm nicht paßte.
    Wie sollte ein Haus denn riechen, in dem fünfzehn Jahre keiner gewohnt hatte? Vannoni zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch aus. Er würde jetzt durchs Haus gehen und die Fenster öffnen. Er würde die Zimmer begutachten. Alles wäre wie früher oder eben anders. Es wäre ihm egal. Er würde die Tatsachen zur Kenntnis nehmen, und es wäre in Ordnung. Genau so, wie es war. Er drückte die Zigarette am Türstock aus.
    Vannoni ging durchs Haus. Er begann in der Küche. Er hatte Elena gesagt, sie könne sich nehmen, was sie wolle, doch anscheinend hatte sie nichts gewollt. Auch das Bad war unverändert. Im Wohnzimmer hing noch der

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