Das Geheimnis des Goldmachers
Ungläubigen,
auf dass ihr, ohne einen Hieb zu führen, die Heilige Stadt einnehmen werdet!«
Aus seinem Wams zog er einen Brief
und gab ihn mir, bevor er ein letztes Mal zu mir sprach: »Diese Botschaft
übergebe dem Erzbischof zu Cölln, er wird dir sodann jedwede irdische
Unterstützung zuteil werden lassen. So gehe nun und tue, was ich dich
geheißen!«
Dann entschwand er, ohne ein
weiteres Wort zu verlieren, im Dickicht des Waldes. Augenblicke darauf wurde
ich der verzweifelten Rufe meines Vaters gewahr und kehrte zurück in seine
Obhut.«
Nikolaus hielt inne und man hätte
wahrlich einen Rattenfurz hören können, so leise war’s im halligen
Kirchenschiff, gebannte Stille allüberall.
Langsam ging seine Rechte in die
Höhe, in der Hand ein Pergament. Die Menge begann zu raunen, erst leise,
schließlich immer lauter.
»Schweigt!«, schrie Nikolaus
plötzlich, »schweigt, denn der Herr erwartet Taten, keine Worte von euch! Und
sind immer noch Zweifler unter euch, so sehet, was ich in der Rechten halte,
denn nichts andres als die Botschaft an den Bischof ist’s, welche Jesus, unser
Messias, mir überreicht hat in jener Nacht!«
Nun war die Meute nicht
mehr zu halten, der Dom erbebte vor erstaunten Ohs und verzückten Ahs, jeder in
der Kirche sah in dem Pergament eine wahrhaftige Reliquie und keiner zweifelte
an seiner Echtheit, meine eingeschüchterte Wenigkeit eingeschlossen. Nikolaus schaute
ins weite Rund und ganz offenbar genoss er die Reaktion seines Auditoriums,
denn ein verzücktes Lächeln umspielte seine Züge. Seinerzeit deutete ich
Nikolaus’ Miene als religiösen Eifer, heute meine ich, darin eine mindestens
ebenso große eitle Selbstgefälligkeit zu entdecken, doch viel zu spät kommt die
Erkenntnis, vielleicht auch inspiriert durch das Wissen, was noch Übles folgen
sollte. Nikolaus jedenfalls genoss die Reaktionen auf seine Worte und wieder
hob er seine Arme, dass die Menge Ruhe gebe, und wieder verfehlte diese Geste
ihre Wirkung nicht. In die Stille hinein fuhr er schließlich fort:
»Nun frage ich euch alle, wollt
ihr nach wie vor tatenlos zusehen, wie die Gottlosen weiterhin heiligen Boden
entweihen? Und ich frage euch alle, wollt ihr nach wie vor tatenlos zusehen,
wie die Gottlosen weiterhin Seinen geheiligten Namen in den Schmutz
ziehen …?«
Die Kraft seiner Rede, obgleich er
nur ein Knabe war, schwoll von Wort zu Wort unablässig an und seine Stimme
selbst, zuerst ruhig und beherrscht, entglitt ihm nun mit jeder weiteren Silbe
immer mehr.
»… Und ich frage euch alle, die
ihr hier versammelt seid, wollt ihr denn nach wie vor tatenlos zusehen, wie die
gottlosen Morgenländer und die gottverleugnenden Abendländer sich erleichtern
über dem Grabe Christi?«
Jetzt schrie Nikolaus, er
kreischte, geiferte, schluchzte, weinte, brüllte …:
»… Und ich frage euch, wollt ihr
nach wie vor zusehen, wie sie pissen auf die Gebeine unseres Herrn? Wollt ihr
weiterhin zulassen, dass sie pissen und koten und spucken auf unser
Allerheiligstes?«
Seine Stimme schlug Kapriolen,
Speichel schoss aus seinem Mund …
»… Ich frage euch und ich erwarte
eine Antwort – nicht in einer Woche, nicht in einem Tage, nicht zum nächsten
Glockenschlag, nein, ich erwarte eine Antwort hier und jetzt! So sagt mir,
wollt ihr denn tatsächlich nach wie vor tatenlos zusehen …?«
Weiß Gott, man möge mich aufs Rad
binden, wenn ich lüge, doch Tausende Männer und Frauen und Kinder brüllten ihm
zugleich wie aus einer Kehle ein ›Nein‹ entgegen, und auch ich spürte, wie mir
der Hass auf diese Frevler die Tränen in die Augen trieb, und ich kreischte und
ich geiferte und ich spuckte meine Wut heraus: ›Nein, ich will nicht mehr
tatenlos zusehen!‹
Und mit mir taten dasselbe mein
linker Nachbar ebenso wie der zu meiner Rechten ebenso wie wiederum deren
Nachbarn. Alle in der Kirche waren nunmehr krank vor Hass, und wäre in diesem
Moment ein Orientale erschienen, so hätte ihn die Meute in tausend Stücke
zerfetzt, so sicher, wie das Amen dem Gebete folgt.
Die Massen johlten und kreischten
noch, als Nikolaus, begleitet von seinem Tross, schon lange wieder den Dom
verlassen hatte und für mich stand eines unverrückbar fest: Ich würde diesem
Knaben überallhin folgen, komme, was da wolle.«
*
»Lieber Robert, verzeiht, wenn ich Euch
unterbreche«, fiel ihm Bruder Albert ins Wort, »doch obwohl mich Eure Erzählung
bannt wie selten eine zuvor, beginnt das lange Tagwerk an meiner
Weitere Kostenlose Bücher