Das Geheimnis des Scriptors
selbst. Wie in diesem Moment, wo ich doch weiß, dass Sie das Oberhaupt einer organisierten Entführerbande sind, und trotzdem mit Ihnen spreche … Sie hatten nichts zu sagen, als ich damals um Ihre Hilfe bat. Warum wollten Sie mich sehen, alter Mann?«
Mir fiel jetzt auf, dass Damagoras dünner war und älter ausschaute als bei seinen arroganten Auftritten in der Villa. Die Zeit lief ihm davon. Diese Zelle in der heruntergekommenen Kaserne war kein Ort für seine alten Knochen, die nach einem langen aktiven Leben auf See bereits schmerzten. »Wollen Sie Diocles immer noch finden, Falco?«
»Und was soll ich Ihnen dafür im Gegenzug bieten?«
»Meine alten Logbücher. Sie haben sie, nicht wahr?«
»Als Beweise.«
Das war ein wenig übertrieben. Nur Damagoras selbst war in diese alten Kaperfahrten verwickelt, und das auch bloß, wenn er zugab, dass die Logbücher ihm gehörten. Hinweise auf die gewalttätige Vergangenheit der Kilikier verlieh dem Ganzen nur Farbe. Doch so, wie Rubella arbeitete, würde ein zugänglicher Magistrat gebeten werden, Beweise wie diese – Indizien, aber doch schockierend – in Betracht zu ziehen, und dann würde sein Urteil die Entführer direkt zur Kreuzigung schicken oder den Bestien in der Arena zum Fraß vorwerfen. Ein Gerichtsverfahren würde nicht stattfinden. Die Seeleute waren Männer von einfacher Herkunft, besaßen vermutlich keinen Nachweis ihrer Bürgerschaft und waren darüber hinaus auch noch Ausländer. Genug gesagt.
Ich trat weiter in die Zelle hinein. »In Ordnung. Was haben Sie für mich?«
»Sie werden mir die Logbücher geben?«, wollte Damagoras begierig wissen.
»Wenn ich den Scriptor finde, gebe ich sie Ihnen.« Der alte Pirat war sechsundachtzig. Seine eigenen Aktivitäten konnten nur beschränkt sein, und jeder seiner Kumpel, der nach Rubellas Säuberung noch frei war, würde aus Italien rausgeworfen werden, und so würde es Damagoras an Untergebenen fehlen. Außerdem lagen die Dinge jetzt sowieso anders. Damagoras stand auf der Überwachungsliste.
Er beugte sich aus seinem zerschlissenen Sessel vor. »Der Scriptor und ich standen uns näher, als ich zugegeben habe.« Ich nickte. »Diocles wusste vieles über mich.«
»Er war längere Zeit in Ihrem Haus.«
»Das wussten Sie? Er war vierzehn Tage bei mir. Dann, als er verschwand, habe ich meine Jungs nach ihm suchen lassen.«
»Er ist tot, nicht wahr?«
»Das nehme ich an, Falco. Darum habe ich die Suche abgebrochen.«
Ich hockte mich vor Damagoras, die Ellbogen auf meine Knie gestützt. »Und was haben Sie herausgefunden?«
»Er wollte wirklich meine Memoiren schreiben, wissen Sie.« Damagoras redete jetzt so, als beschriebe er eine besonders gute Freundschaft. »Wir haben alles detailliert besprochen …«
»Das weiß ich. Diocles hat sich ausgiebige Notizen gemacht.«
»Sie haben diese Notizen?«, fragte Damagoras. Ich schenkte ihm ein hinhaltendes Lächeln. »Wir haben uns gut verstanden. Ich habe ihm vertraut, Falco. Ich habe ihm alles über meine Vergangenheit erzählt, und wenn er ein wenig getrunken hatte, dann erzählte er mir, was ihn beschäftigte. Er hatte Probleme.«
»Seine Tante war umgekommen. Er gab den Feuerwehrleuten die Schuld daran – nicht den Vigiles, sondern der Bauhandwerkerkorporation.«
»Sie haben recht. Er war nach Ostia gekommen, um etwas gegen sie zu unternehmen.«
»Ist er auf diese Weise zu Schaden gekommen?«
»Wir wissen nur«, sagte Damagoras, »dass er begonnen hatte für einen der Bauhandwerker zu arbeiten. Er erhielt eine Stelle als Lastenträger für einen Betonmischer namens Lemnus …«
»Lemnus aus Paphos!«, rief ich und sprang auf. Lemnus, der O-beinige Kreter, der mich in der Pflaumenblüte angegriffen und dann Reißaus genommen hatte. Petronius hatte gemeint, der Mann müsse irgendwas auf dem Gewissen haben. Tja, Petro konnte ihn jetzt verhaften, falls er ihn noch fand.
Lemnus arbeitete jedoch selbständig. »Auf wessen Baustelle waren sie eingesetzt?«
»Ich weiß es nicht, Falco.« Glatt gelogen. Der alte Pirat bemühte sich, keinen zu unsteten Blick zu zeigen.
»Das reicht mir nicht, Damagoras! Sagen Sie mir, wer der Bauherr war.«
»An den Mann kommen Sie nicht heran. Ein viel zu großes Tier in dieser Stadt …«
»Niemand ist zu groß für mich.« Ich packte Damagoras an seiner weißen Tunika und riss ihn aus dem Sessel hoch. Er war größer als ich, zitterte jedoch vor Angst. »Es war der Mann, dem Diocles die Schuld am Tod
Weitere Kostenlose Bücher