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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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Boden schießen. Im Lauf der Jahre haben wir uns einen guten Ruf erworben. Wir gelten als nüchtern und zuverlässig. Zu unseren Kunden gehören viele Angehörige des Adels, und unsere Bilder hängen in einigen der schönsten Herrenhäuser des Landes.«
    »Und Mr. Finch ist Ihr Partner?«
    »Tobias Finch ist deutlich älter als ich, aber wir sind gleichberechtigte Partner. Wenn es überhaupt Meinungsverschiedenheiten zwischen uns gibt, dann beruhen sie darauf, dass ernoch konservativer und vorsichtiger ist als ich. So interessiere ich mich zum Beispiel sehr für die neuen Werke, die jetzt in Frankreich entstehen. Ich weiß nicht, ob Sie schon von Monet gehört haben oder Degas? Erst vor einer Woche hat man mir ein Bild von Pissarro angeboten – eine Landschaft mit Schiffen, die ich ganz entzückend fand, farbenfroh. Aber mein Partner war äußerst ablehnend. Er behauptet, solche Bilder seien nichts als verschwommene Impressionen. Damit hat er nicht ganz unrecht, denn aus der Nähe betrachtet sind manche Umrisse nicht gut erkennbar. Ich habe ihn leider nicht davon überzeugen können, dass gerade darin die Pointe liegt. Aber ich will Sie nicht mit einem Vortrag über Kunst ermüden, meine Herren. Wir sind eine traditionelle Galerie, und das werden wir bis auf weiteres wohl auch bleiben.«
    Holmes nickte. »Fahren Sie bitte fort.«
    »Mr. Holmes, vor zwei Wochen wurde mir plötzlich bewusst, dass ich beobachtet werde. Ridgeway Hall – das ist der Name meines Hauses – steht an einer schmalen Straße, an deren anderem Ende sich auch ein paar Armenhäuser befinden. Obwohl sie in einiger Entfernung stehen, sind sie doch unsere nächsten Nachbarn. Die unmittelbare Umgebung meines Grundstücks ist Gemeindeland, und aus meinem Ankleidezimmer habe ich einen Blick auf den Dorfanger. Von dort aus habe ich an einem Dienstagmorgen auch diesen Mann gesehen. Er stand breitbeinig da, die Arme vor der Brust verschränkt, und was mir als Erstes auffiel, war seine außergewöhnliche Ruhe. Er war zu weit entfernt, als dass ich ihn deutlich hätte erkennen können, aber ich hatte den Eindruck, dass er ein Ausländer war. Er trug einen langen Gehrock mit gepolsterten Schultern, von einem Schnitt, der sicher nicht englisch war. Ich bin letztes Jahr in Amerika gewesen, und ich würde sagen, dass er aus diesem Land kam. Was mich aber – aus Gründen, die ich gleich erklären werde –besonders beschäftigte, war die Tatsache, dass er auch eine Mütze trug, eine flache Kappe von der Art, die gelegentlich auch Schiebermütze genannt wird.
    Diese Mütze und die Art und Weise, wie er dastand, weckten meine Aufmerksamkeit und beunruhigten mich. Wenn er eine Vogelscheuche gewesen wäre, hätte er nicht bewegungsloser sein können. Ein leichter Regen fiel, den die Brise über den Rasen trieb, aber der Mann schien es nicht zu bemerken. Seine Augen waren starr auf mein Fenster gerichtet. Ich hatte das Gefühl, dass sie sehr dunkel waren und dass sie sich förmlich in mich hineinbohrten. Ich betrachtete ihn mindestens eine Minute lang, vielleicht sogar länger, dann ging ich zum Frühstück hinunter. Ehe ich zu essen begann, schickte ich aber noch meinen Küchenjungen hinaus, um in Erfahrung zu bringen, ob der Mann immer noch da war. Das war er nicht. Der Junge berichtete, das Green sei vollkommen leer.«
    »Ein bemerkenswertes Ereignis«, stellte Holmes fest. »Aber Ridgeway Hall ist gewiss ein schönes Gebäude. Ein Besucher, der nach England kommt, könnte es besichtigen wollen.«
    »Ja, das habe ich mir auch gedacht. Aber ein paar Tage später habe ich ihn ein zweites Mal gesehen. Dieses Mal geschah es in London. Meine Frau und ich waren gerade aus dem Theater gekommen – wir waren im Savoy gewesen –, und da stand er wieder, auf der anderen Straßenseite. Wieder trug er denselben Mantel und wieder die flache Mütze. Vielleicht hätte ich ihn gar nicht bemerkt, Mr. Holmes, aber wie schon zuvor stand er vollkommen unbeweglich im Strom der Passanten, wie ein Felsen in einem rasch dahinfließenden Bach. Wieder konnte ich ihn nicht gut erkennen, denn obwohl er sich unmittelbar unter einer hell leuchtenden Laterne aufgestellt hatte, warf seine Mütze einen Schatten über sein Gesicht, der dichter war als ein Schleier. Ich fürchte fast, das war seine Absicht.«
    »Aber Sie sind sich ganz sicher, dass es derselbe Mann war?«
    »Daran konnte kein Zweifel bestehen.«
    »Hat Ihre Frau ihn gesehen?«
    »Nein. Und ich wollte sie auch nicht darauf

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