Verfuehrung im Palast der Liebe
1. KAPITEL
„Entschuldigung.“
Keira war völlig darin versunken, die übrigen Hochzeitsgäste im Hof des alten Palastes zu beobachten, dass sie nicht bemerkte, wie sie den Weg zum Garten blockierte. Eigentlich hatte sie zu den Pavillons gehen wollen, die extra für die Feierlichkeiten errichtet worden waren, doch dann hatte die märchenhafte Atmosphäre sie in den Bann gezogen.
Die männliche Stimme war tief und Ehrfurcht gebietend, „samtig-rau“ war der Ausdruck, der Keira sofort dazu einfiel. Die Stimme strich über ihre Haut und sandte einen prickelnden Schauer über ihren ganzen Körper. Der Akzent zeugte eindeutig von einer höheren britischen Ausbildung, es war der Akzent eines Mannes, der sowohl seine Position als auch seinen Reichtum als Geburtsrecht erachtete – der Akzent von Privilegien, Macht und Stolz.
Würde ihre Stimme ebenso viel von ihr preisgeben? Würde ihr Gegenüber den nordenglischen Akzent erkennen, den sie während ihrer Karriere als Innenarchitektin zu verbergen gelernt hatte?
Keira drehte sich um, eine Entschuldigung auf den Lippen, weil sie im Weg gestanden hatte – und staunte. Vor sich sah sie den sinnlichsten, attraktivsten und gefährlichsten Mann, der ihr je begegnet war.
Als hätte sie ihr ganzes Leben lang auf diesen Moment gewartet, begann jedes Nervenende in zu vibrieren. Es war ein Überfall auf all ihre Sinne, der ihr die verinnerlichte Vorsicht raubte und sie regungslos und mit großen Augen wie hypnotisiert stehen bleiben ließ.
Die Macht seiner Sinnlichkeit hüllte sie ein, und sie war nicht in der Lage, sich dagegen zu wehren.
Jay hatte nicht die geringste Ahnung, wieso er Zeit verschwendete und sich von einer Frau anstarren ließ, auf eine Art und Weise, die mehr als deutlich machte, wie bewusst sie sich seiner war.
Zugegeben, sie war schön. Aber sie war nicht der einzige weibliche europäische Hochzeitgast. Obwohl … Mit ihrer Figur und ihrem Aussehen würde sie aus jeder Menge herausstechen. Groß und elegant, strahlte sie Klasse und würdevolle Grazie aus, während die verführerischen Kurven ihres Körpers und die vollen Lippen eindeutig besagten, dass sie eine natürliche Sinnlichkeit besaß.
Im Bett würde sie sicherlich jene Sinnlichkeit zeigen, wie sie in den erotischsten Kapiteln des Kamasutras nachzulesen war. Diese Frau würde jeden Mann dazu verlocken, ihr Vergnügen zu schenken, bis sie ihre Lust laut herausschrie. Er sah sie schon jetzt vor sich, wie ihr dunkles Haar sich auf den Kissen ausbreitete, ihre Augen fiebrig vor Erregung, die Lippen sehnsüchtig geöffnet, ihr Körper bereit, ihn zu empfangen.
Das Verlangen, das jäh in ihm aufschoss, überraschte ihn. Mit vierunddreißig Jahren sollte er alt genug sein, um seine körperliche Reaktion auf eine begehrenswerte Frau unter Kontrolle zu halten, und doch war es dieser Frau auf unerklärliche Weise gelungen, seine Aufmerksamkeit zu fesseln, so abrupt, dass er zu einem Gefangenen seiner Fantasie und seines Verlangens nach ihr wurde.
Sie hatte nicht den Versuch wie so manche Europäerin gemacht, die indische Tracht zu tragen, die den Inderinnen solche Eleganz und Selbstbewusstsein verlieh, wenn sie festliche Anlässe im Land besuchten. Dennoch vermutete er noch immer, dass sie sich ihm auf subtile Weise anbot. Was automatisch bedeutete, dass sie sich jedem anbot, der ihr über den Weg lief. Wäre es zufällig ein anderer gewesen, der ihren Weg gekreuzt hätte …
Jay war bewusst, dass er instinktiv versuchte, die Frau in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen – und musste mit gerunzelter Stirn feststellen, dass es ihm keineswegs gelang.
Stattdessen hörte er sich zu seiner eigenen Verwunderung fragen: „Braut oder Bräutigam?“
„Wie bitte?“
„Ich wollte nur wissen, zu welcher Seite der Hochzeitsgäste Sie gehören. Zu den Bekannten der Braut oder des Bräutigams.“
Das Wort „dazugehören“ rief Keira schmerzhaft ins Bewusstsein, dass es niemanden auf dieser Welt gab, zu dem sie gehörte. Doch dieser Schmerz wurde gemildert durch die berauschende Tatsache, dass er die zufällige Begegnung scheinbar verlängern wollte.
Er sah unbestreitbar gut aus. Anspannung überfiel sie, so als würde irgendein Instinkt tief in ihr sie warnen, doch zu ihrem Entsetzen weigerten sich ihre Sinne, auf die Warnung zu hören. Wie alt war sie eigentlich? Auf jeden Fall zu alt, um hier mit offenem Mund zu stehen und zu starren. Und doch, wie ein Kind, das genau wusste, dass zu viele
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